Full text: Allgemeine juristische Zeitung (Jg. 3 (1830))

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oder in der nächsten, ebenfalls öffentlichen Sitzung das Er¬ 
ihre Partheyen in Schaden bringen, bald aus bloßer Ge¬ 
kentnniß auszusprechen. Ein wesentlicher Gewinn dieser Ein¬ 
winnsucht die frivolsten Proceße annehmen und mit den 
richtung würde auch schon darin bestehen, daß dadurch 
elenden Künsten von Fristgesuchen, Restitutionen, muthwilli- 
manche Appellation über Beweissatz und Beweislast ver¬ 
gen Appellationen, grundloser Verweigerung der Litisconte¬ 
mieden würde. 
station und mit Vorschützung frivoler dilatorischer Einreden, 
Eine andere Huldigung, die dem öffentlichen Verfahren 
in die Länge ziehen — Künste und Erwerbmittel, die frei¬ 
nothwendig gebracht werden muß, ist die, daß die Zeugen 
lich der für seinen höchst ehrenvollen Beruf begeisterte Advo¬ 
in Gegenwart der Partheyen oder wenigstens ihrer Anwälte 
cat verschmäht — so lange nicht elender Brodneid einem 
verhört werden. Der Einwand, daß der Zeuge, wenn er 
ächten Esprit de corps weicht, welcher dem auf der Bahn 
abgesondert verhört werde, unbefangener aussage, wird, 
der Ehre wandelnden, die Achtung und den Schutz*); dem 
wenn er auch gegründet seyn sollte, vielfältig durch den 
Fehltretenden aber auch die Mißbilligung der Standesgenos¬ 
Vortheil aufgewogen, daß durch die Mitanwesenheit der 
sen sichert, — so lange ist bei uns an eine segensreiche 
Parthey, sowohl die Böswilligkeit, als die Vergeßlichkeit des 
Einführung des öffentlichen und mündlichen proceßualischen 
Zeugen controlirt und der Gefahr, den examinirenden Rich¬ 
Verfahrens nicht zu denken. 
ter zu mißverstehen, am leichtesten vorgebeugt wird. Daß 
Wir haben dies Verfahren, zur Zeit des Königreichs 
die in Voraus entworfenen, meist handwerksmäßigen Inter¬ 
Westphalen, mit seinen großen und glänzenden Vorzügen, 
rogatorien diesen Mängeln nur höchst selten abhelfen, ist eine 
aber auch mit seinen Mängeln, in der Nähe gesehen. Die 
dem Praktiker hinreichend bekannte Sache. Auch ist nicht 
Anwälte bei den damaligen Districtstribunälen waren in 
abzusehen, warum wenigstens der Zeuge, der über förmliche 
der Regel in drei Classen zu theilen. Zur ersten derselben 
Artikel vernommen wird, mithin in der Regel nur mit 
gehörten diejenigen, die mit den übrigen zu ihrem Berufe er¬ 
ja oder nein zu antworten hat, eine solche Antwort in Ge¬ 
forderlichen Talenten, die Himmelsgabe der freien Rede 
genwart der Parthey mit größerer Befangenheit, als sonst 
vereinigten und diese waren es, welche die herrlichen Vor¬ 
abgeben soll. Daß übrigens der Zeuge in seiner Aussage 
züge jener Verfassung auf eine überraschende Weise zeigten. 
nie unmittelbar durch die Parthey, oder ihren Anwalt, unter¬ 
Die zweite Klasse bildeten diejenigen, (gewöhnlich ältere 
Männer) denen es wohl so wenig an juristischen Kenntnissen, 
brochen werden dürfe, letztere sich vielmehr stets mit den 
als an Zutrauen des Publicums, wohl aber an einem blü¬ 
Vorhaltungen, die sie dem Zeugen gemacht zu sehen wünscht, 
henden Styl und an der Gabe der freien Rede gebrach. Es 
wie dies die Preußische Proceßordnung vorschreibt, an den 
war erbaulich diese, wohl mit einer kleinen Brille auf der 
Nase, die Concepte ihrer schlecht stylisirten Vorträge aus¬ 
eraminirenden Richter zu wenden habe, versteht sich von 
drucklos ableyern oder herschnarren und statt aller Widerle¬ 
selbst. 
gung der Einwendungen des Gegners, sich blos auf ihr Vori¬ 
Die Beeidigung der Zeugen nach ihrer Vernehmung, 
ges beziehen zu hören. Dergleichen Vorträge erschienen eher 
wird der Gewissenhaftigkeit ihrer Aussage gewiß nur in 
als eine Satyre auf das öffentliche und mundliche Verfahren 
und waren — besonders einem gewandten Gegner gegen¬ 
höchst seltenen Fällen Eintrag thun, dagegen wenigstens, so 
über — wenig geeignet, den Beobachter für die neue Ein¬ 
oft die Partheyen selbst anwesend sind, in den meisten Fäl¬ 
richtung zu gewinnen! Der Ueberrest endlich bestand aus 
len das Erlassen des Zeugeneides zur Folge haben, der 
jenen Neulingen und wenig Beschäftigten, welche die Sorge 
besonders dann allen wohlthätigen Eindruck verfehlt, und 
für den Unterhalt nöthigte, alle Sachen ohne Auswahl, bei 
denen nur etwas zu verdienen zu hoffen war, anzunehmen, 
eher einen widerlichen erregt, wenn viele Zeugen zu beeidi¬ 
wobei dann die Nullitäten Jagd bis zum Ekel getrieben wurde. 
gen sind. 
Wie oft ward da gutes Recht zu formellem Unrecht! Unver¬ 
Die Seele und Conditio fine qua non des öffentlichen 
meidlich ist es aber doch, daß, besonders weit entfernte 
und mündlichen Verfahrens, ist ein tüchtiger Advocaten¬ 
Partheyen auch mittelmäßigen Anwälten in die Hände fallen. 
stand. So lange dieser wichtige und ehrenwerthe Stand, 
*) In KurHessen ist durch eine Verordnung vom 29ten März 182 
besonders auf dem Lande, zu seinen Gliedern noch so viele 
auch den Anwälten die Aufnahme in die neue CivilWitt¬ 
mittelmäßige und weniger als mittelmäßige Subjecte zählt, 
wen= und Waisen Societät gestattet. 
welche bald aus Mangel an Kenntnißen oder aus Unverstand 
(Fortsetzung folgt.) 
Göttingen, in der Expedition der allgemeinen juristischen Zeitung. 
Staatsbibliothel 
Max-Planck-Institut für
	        
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