Full text: Annalen der deutschen und ausländischen Criminal-Rechts-Pflege (Bd. 3 = H. 5/6 (1829))

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Es ist in der That unbegreiflich, daß die Vertheidiger dieser 
neuen Lehre die Inconsequenzen nicht fühlen, in welche sie sich 
verwickeln. Der stärkste aller Triebe ist gewiß der Geschlechts= 
trieb. Müßte also nicht nach solcher Theorie auch Nothzucht, 
Chebruch u. s. w. als nicht zurechnungsfähig, und also straf¬ 
frei erklärt werden, sobald der Thäter nachweisen könnte, daß er 
an der Geschlechtsmonomanie litte, welches leider in jetzigen Zei¬ 
ten nicht schwer seyn würde. 
Müßten wir nicht auch nach dieser Theorie den, der in der 
Trunkenheit ein Verbrechen begeht, für straflos erklären; denn er 
handelte ja auch nicht frei und also unzurechnungsfähig? 
Und dennoch straft eine weise Obrigkeit diese Verbrechen 
so gut 
wie andere; sie straft nicht sowohl die That, als daß der Thäter 
sich in den Zustand versetzte, der die That möglich machte. 
Fixe Ideen, Geistesverirrungen; thun das Nämliche, 
aber 
noch neulich verurtheilte die dänische Regierung, nach meiner Mei¬ 
nung mit vollem Recht, den unglücklichen Vater zum Tode, der 
in einem solchen Gemüthszustande das unnatürlichste aller Ver= 
brechen — 
allerdings nur in einer Art von Wahnsinn möglich- 
begangen hatte, seine eignen 4 Kinder um's Leben zu bringen." 
Heißt es also nicht geradezu, die Leidenschaft, die Thierheit 
im Menschen, die Immoralität und Irreligiosität sanctioniren 
und legalisiren, wenn man die Ausbrüche derselben unter dem 
Namen Monomanie entschuldigen und gesetzlich straflos er¬ 
klären wollte? — Denn man vergesse doch nicht die rückwirkende 
Kraft der Strafe, und daß die Furcht vor derselben, selbst in ei¬ 
nem solchen Zustande, die Seele von der Ausübung der That zu¬ 
rückschrecken kann. — Sehen wir nicht, daß selbst im Schlafe 
die Erinnerung an die Strafe Kinder von gewissen Unarten ab¬ 
halten kann? — Höchst merkwürdig ist hierüber das Beispiel, 
was uns alte Geschichtsschreiber erzählen. Es war auf einer 
Griechischen Jnsel der Wahnsinn bei jungen Mädchen allgemein 
geworden, sich, nach dem Vorgang der Sappho, in der Liebes¬ 
wuth den Tod zu geben. Die Obrigkeit fand endlich kein ande= 
res Mittel, dem Unwesen zu steuern, als den Leichnam einer sol¬ 
chen Selbstmörderin auf die entehrendste Art nackend durch die 
Straßen schleifen zu lassen. Dies allein half. — 
Die Furcht 
vor dieser Schande, vor dieser Entehrung nach dem Tode, über= 
wog den mächtigen Trieb zum Selbstmord und er unterblieb. 
Sollte man nicht bei der jetzt leider immer mehr überhand 
*) S. das vorige Heft S. 110 — 122. 
D. H. 
Voage 
Staatsbibliothek 
Max-Planck-Institut für 
zu Berlin
	        
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