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(Bd. 2. S. 177 u. f.); gegenwärtig ist ein neuer von gleicher
Tendenz erschienen, welcher den Titel führt: „Der letzte Tag
eines zum Tode Verurtheilten," und von einem jungen
Dichter von vielem Talent, Victor Hugo, herrührt."
„Das was ich schreibe" — läßt der Verf. seinen Verurtheil=
ten sagen — „wird vielleicht nicht unnütz seyn. Dies Tagebuch
meiner Leiden, von Stunde zu Stunde, Minute zu Minute, von
Qual zu Qual fortgeführt, wenn ich die Kraft haben sollte, es
bis zu dem Augenblick zu bringen, wo es mir physisch un¬
möglich seyn wird, es weiter fortzusetzen; diese, der Natur der
Sache nach, nur abgebrochene, aber so vollständig als es seyn
kann, aufgezeichnete Geschichte meiner Empfindungen; sollten sie
nicht eine große und tiefe Lehre eindringlich machen? Sollte
nicht in diesem Protocoll über den Gedankengang in der Agonie,
über diese immer steigende Progression von Schmerzen, in dieser
so zu sagen geistigen Leichenschau eines zum Tode Verdammten,
mehr als eine Lehre für diejenigen liegen, welche verdammen?
Vielleicht wird die Lesung dieses Buchs ihnen die Hand etwas
schwerer machen, wenn es das nächstemal darauf ankommt, ein
denkendes Haupt, das Haupt eines Mitmenschen, in dasjenige zu
werfen, was man die Waagschale der Gerechtigkeit nennt. Viel=
leicht haben sie, die Elenden, nie diese langsame Reihe von Qug¬
len in das Auge gefaßt, welche ein schnell ausgesprochenes To=
desurtheil mit sich führt! Mögen sie wohl jemals dem durchboh¬
renden Gedanken in sich Raum gegeben haben, daß in dem Men¬
schen, welchen sie aus dem Leben wegstreichen, ein denkender Geist
wohnt, ein Geist, der auf Leben gerechnet, eine Seele, die sich
nicht zum Tode bereitet hat? Nein: sie sehen in alle dem nichts
als den senkrechten Fall eines dreikantigen Beils, und denken ohne
Zweifel, für den Verurtheilten gebe es kein Vorher und kein
Nachher.
Diese Blätter werden sie enttäuschen. Eines Tages an das
Licht gestellt, werden sie dazu dienen, den Geist jener Richtenden
auf die geistigen Leiden der Gerichteten zu lenken; denn diese Lei¬
den sind es, von welchen sie keine Ahnung haben: sie feiern ih¬
ren Triumph nur darüber, daß sie tödten können, fast ohne den
Körper einen Schmerz empfinden zu lassen. Ei! das ist wohl
der Punkt, auf welchen es ankommt! Was ist der physische
Schmerz gegen den moralischen? Verabscheuung und mitleidiges
Achselzucken gebührt solchen Gesetzen!
Dies ist die Art, wie französische Modeschriftsteller das Volk
Richter und Gesetze ansehen lehren; die Verbrecher sind die Be=
Vonag
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zu Berlin