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sammenleben solcher ist oft von ungünstigem Einflusse auf den
Charakter des einen oder des andern und vermag zum Mindesten
die gute Ordnung einer Anstalt, wo hierauf keine Rücksicht genom¬
men wird, zu stören, und manche schöne Bemühungen der Ange¬
stellten wirkungslos zu machen. Eine in diesem Gesichtspunkte an¬
geordnete zweckmäßige Vertheilung der Gefangenen in
die verschiedenen Zimmer wird gewiß nie unbelohnt bleiben,
wobei aber durchaus nothwendige Bedingung ist, daß man die ein¬
zelnen Gefangenen ihrer Individualität nach hinreichend kennt.
Obermaier versteht sich trefflich auf Handhabung dieses Bes¬
serungsmittels, indem er seine Leute ganz nach ihren Individualitä¬
ten mischt, wobei er sich sehr gut befindet. Er ordnet sie so, daß
auf jedem Zimmer sovielmöglich immer der gute Geist obsiegt. Es
sind hierbei natürlich viele Zimmerversetzungen nothwendig, was
daher auch nie als Strafe angesehen oder mit Drohungen begleitet
werden darf.
b) Der Behandlung der Sträflinge selbst muß immer das
Vertrauen zu Grunde liegen, das man auch dem tiefgefallenen
Menschen nie ganz versagen sollte, und die Achtung, welche ihm
als Menschen gebührt*).
Alexander Andryane gibt in seinen „Erinnerungen aus
Genf (souvenirs de Genève par Alexandre Andryane) eine ihm
von dem bekannten (damals — 1820 — in Genf lebenden) Repub¬
likaner Buonarotti mitgetheilte Erzählung aus der Belagerung von
Toulon, welcher derselbe als Convents=Commissär beiwohnte. „Als die
Engländer bei ihrem Abzuge von Toulon das Arsenal in Brand steck¬
ten, sprengten die Galeerensklaven, 3—4000 an der Zahl, ihre Ketten
und eilten, die brennenden Schiffe zu retten. Sie waren im Besitze
des Hafens, sie waren frei. Wie nun sie bewegen, in ihren Kerker
zurückzukehren? Und doch mußte es sein — mir wurde der gefährliche
Auftrag. Ich ging, ich sprach zu ihnen im Namen der Republik und
der Freiheit, ich dankte ihnen für den aufopfernden Patriotismus, wo¬
mit sie die Schiffe der Republik gerettet, ich ermahnte sie, nun auch
den Gesetzen derselben Folge zu leisten — und siehe da, diese Elen¬
den, diese Verbrecher, sonst jedem tugendhaften Gefühle unzugänglich,
drängten sich um mich her, mit dem Rufe: „Es lebe die Republik!
Es lebe der Convent!" — Sie kehrten freiwillig in ihren Kerker zu¬
rück, ohne den mindesten Widerstand, ohne daß es einen Tropfen Bluts
gekostet hätte."
Ebenfalls ein merkwürdiges Resultat lieferte in dieser Beziehung
eine von dem Vorstande des württembergischen Kreisgefängnisses in
Hall, Jnstizassessors Roos, vorläufig versuchsweise eingeführte
Max-Planck-Institut für
DFG
europäische Rechtsgeschichte