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auch da, wo kein Aufseher war. Die Sträflinge befanden sich in
Zimmern zu je 24—30 Personen. Ordnung und Reinlichkeit war
überall sichtbar. Jeder lag emsig seiner Arbeit ob, und es war
kein nur scheinbarer Fleiß, denn die Resultate sollen bei allen Un¬
ternehmungen glänzend ausfallen. So versicherte man mich all¬
gemein, daß im Arbeitshaus das beste Bier der Umgegend ge¬
braut werde.
Hart neben jedem Zimmer befindet sich die Schlafkammer.
Im Arbeitszimmer wird auch gespeist. Es findet somit hier kein
heerdenweises Abspeisen der Gefangenen in großen Sälen statt.
Mir war es, als wehete mich hier ein ganz besonderer Geist
an; um so mehr, als ich noch erfuhr, wie sehr Obermaier, un¬
geachtet er es nicht an gerechter Strenge fehlen läßt, die Liebe des
größeren Theils der Sträflinge besitze. Das Gesehene hatte mein
Gemüth tief ergriffen, und ich schied ungern von dem Manne, der
in seiner schlichten Weise, wie er vor mir stand, meine Bewunderung
erregte. Die nächsten Tage und Wochen suchte ich die Räthsel und
Widersprüche, welche zwischen Obermaiers Behandlungsweise
und den gepriesensten Methoden anderer Länder zu liegen schienen,
zu lösen, und der Leser möge entscheiden, ob und wie weit mir
dieses gelang, wenn ich es nun versuche, die Grundbedingungen zu¬
sammenzustellen, welche dem Verfahren Obermaiers zu Grunde
liegen und welche jeder guten Strafanstalt, die zugleich den Zweck
der Besserung erfüllen soll, zur Stütze dienen müssen.
Die geheimnißvolle Macht, deren wunderbare Wirkungen ich
sah, ist die moralische Kraft. Ohne sie wird keine Strafan¬
stalt ersprießliche Früchte tragen. Sie ist der Saamen, der unter
die Züchtlinge gesäet werden muß, um neues Leben hervorzurufen.
Aber auch hier, wie in der Natur, muß der Boden für die Auf¬
nahme der Saat zuvor zubereitet — zertheilt — werden. Unter
dieser Grundbedingung verstehe ich die Zerstückelung der großen
Masse der Gefangenen in kleinere Zimmerabtheilungen von je
18—25 Gefangenen, und zwar abweichend von der sogenannten
Classifikationsmethode, ohne Ausscheidung nach Besseren oder Schlim¬
meren.
Ist nun auf solche Weise der Boden urbar gemacht, so gehört
zur gedeihlichen Wirksamkeit der moralischen Kraft eine sorgfältige
Pflege. Sie wird gepflegt durch die Persönlichkeit der Ange¬
stellten, insbesondere des Vorstandes der Anstalt und durch den
ganzen Geist der Verwaltung.
Max-Planck-Institut für
europäische Rechtsgeschicht