Full text: Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den Preußischen Staaten mit Ausschluß der Rheinprovinzen (Rep. 1. Bd. 1/10. 1825-28 (1830))

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Taubstummheit. 
to, und zwar mit Rücksicht nicht nur auf die individuel¬ 
len Verhältnisse des Taubstummen, sondern auch auf die 
eigenthümliche Natur des demselben angeschuldigten Ver¬ 
brechens beurtheilt werden müssen, indem derselbe Ange¬ 
schuldigte in Beziehung auf gewisse nur durch rein posi¬ 
tive Gesetze verpönte Verbrechen ganz straflos erscheinen, 
und gleichwohl wegen anderer, z. B. wegen Mordes, für 
vollkommen zurechnungsfähig gelten kann. Es fehlt auch 
nicht an Beweisen, daß Taubstumme mit der vollen Strafe 
Bei¬ 
des Verbrechens belegt worden, z. B. in Hymmens 
Wenn 
trägen zur juristischen Litteratur V, 1— 131. 
daher Rechtslehrer und Psychologen die Taubstummheit zu 
denjenigen Zuständen rechnen, welche die Zurechnung ganz 
ausschließen, und deshalb dies Gebrechen in rechtlicher 
Beziehung dem Blödsinn und der Stupidität gleichsetzen, 
so gilt dies in seiner Strenge doch nur für die seltenen 
Fälle, wo der Taubstumme von Jugend auf sich selbst 
überlassen bleibt, und ohne alle Anleitung und Unterricht 
in thierischer Rohheit aufwuchs, und es kann daher der 
in solcher Allgemeinheit aufgestellte Satz nur dahin ver¬ 
standen werden, daß die Taubstummheit als das haupt¬ 
sächlichste Hinderniß aller geistigen Ausbildung zu einem 
solchen Blöd= oder Stumpfsinn führen könne, keineswe¬ 
ges aber kann es als Regel oder auch nur als eine ge¬ 
setzliche Vermuthung gelten, daß die Taubstummen den 
Blöd= oder Stumpfsinnigen gleich zu achten seyen. Diese 
Ansichten liegen auch den Bestimmungen des A. L. R. 
zum Grunde. Nach denselben sind zwar in civilrechtli¬ 
cher Hinsicht die Taubstummen im Allgemeinen den Blöd¬ 
sinnigen und Unmündigen gleich gestellt, jedoch nur in der 
Voraussetzung, daß sie ihren Willen deutlich und zuber¬ 
lässig zu äußern unvermögend und ihre Angelegenheiten 
zu besorgen unfähig sind; in der Strafgesetzgebung wird 
dagegen der Taubstummen nicht besonders erwähnt, in¬ 
dem es in concreto dem Richter überlassen bleiben muß, 
den Grad des durch jenes Gebrechen bedingten Man¬ 
gels an Zurechnungsfähigkeit, nach den in §. 16. ff. des 
Crim.=Rechts aufgestellten allgemeinen Grundsätzen zu 
IX, 338. 
beurtheilen. 
No 
Staatsbibliothek 
Max-Planck-Institut für 
zu Berlin
	        
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