auch viele körperliche Leiden giebt, die wir nur aus ih¬
ren Wirkungen und Folgen erkennen, während ihr ma¬
terieller Grund unbekannt bleibt: daraus also, daß eine
körperliche Krankheit fehlt oder nicht wahrnehmbar ist,
folgt keinesweges die Unmöglichkeit des Vorhandenseyns
einer Seelenkrankheit. Demnach würde der Arzt, der
nur den körperlichen Gesundheitszustand vor Augen ha¬
ben dürfte, in dem einen, wie in dem andern Falle ur¬
theilen müssen, daß eine Störung der Seelenthätigkeit
vorhanden seyn, aber eben sowohl auch fehlen könne;
und stünde dies fest, so würde ein ärztliches Gutachten
über Seelenkrankheit ein- für allemal überflüssig seyn.
Ein solches scheint jedoch in der That nicht über¬
flüssig. Denn zu Aufklärung eines in einem Rechtsfalle
vorkommenden Punctes, welcher den Gegenstand eines
besondern Berufes ausmacht, bedient sich die Rechtspflege
der Einsicht derer, welche diesem besondern Berufe leben,
oder fordert das Gutachten der Sachverständigen. Nun
ist das Object des ärztlichen Berufes die Krankheit,
und wo es auf die Erkenntniß einer solchen, sey sie wel¬
che sie wolle, ankommt, da gilt der Arzt als Sachver¬
ständiger. Es giebt aber nicht allein eigene Krankheiten
der Seele, die nur pfychologisch beurtheilt und behandelt
werden können, sondern es ist auch in den körperlichen
Krankheiten fast ohne Ausnahme der Seelenzustand ein
Object für ärztliche Beobachtung, Beurtheilung und Wirk¬
samkeit, indem theils viele krankhafte Zustände nicht un¬
mittelbar, sondern nur durch die Aussagen des Kranken,
welche nach dessen psychischem Zustande sich modeln und
denselben offenbaren, erkannt werden, theils der gegen¬
seitige Einfluß von Leib und Seele immerfort thätig ist.
So macht denn die Psychologie einen wesentlichen Zweig
Voage
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zu Berlin