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die ganze Handlung für ihn eine Marter; unter tausend
ängstigenden Gewissens=Skrupeln wird er alle Worte ab¬
wiegen und doch lieber zu wenig als zu viel sagen, mehr
als er gefragt wird, gibt er wenigstens gewiß nicht von
sich, um ja in der Vergessenheit oder in Verlauf der Rede
nicht ein falsches Wörtchen zu sagen, und so bleibt der
wichtigste Umstand unentdeckt, wenn der Richter durch
seine Fragen nicht selbst darauf kommt. Jst der Deponent
aber leichtern Glaubens, so salvirt er sein Gewissen durch
zweideutige, unbestimmte und geschraubte Antworten,
und das Resuktat ist, daß er nichts weiß, weil er unter
diesen Antworten das, was er weiß, beräntelt oder
künstlich verkleidet, damit er schnell wegkommt, und selbst
keine Veranlassung zu weitern Fragen gibt, sein Gewissen
aber damit beruhigt, daß entweder er den Richter oder
der Richter ihn nicht verstanden habe. Ueberhaupt hat
der Eid durch das ewige Wiederholen im Kriminal=Pro¬
zesse an der Heiligkeit der Handlung im Volksglauben
sehr verloren, und der ganze Eid beruht doch nur auf
religiösem Volksglauben. Er wird also durch den bestän¬
digen Gebrauch in seiner Grundveste erschüttert, und der,
statt der frühern Frömmelei eingetretene Unglaube,
darf nur noch ein Paar Schritte vorwärts machen, so
dürfen sich die Gesetze um ein Surrogat dieses wichtigen
Beweismittels umsehen.
3) Der gemeine Mann fürchtet sich durch seine Aussa=
gen zur Strafe des Verbrechers beizutragen, es wird bei
ihm der Gedanke lebhaft, er sey durch Entdeckung der
Wahrheit Schuld an der verhängten Strafe, mache
den Verbrecher unglücklich, und sucht daher durch seine
Staatsbibliothek
Max-Planck-Institut für
zu Berlit