IX. Thibaut Versuche
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philosophischen Interpretation einen Wirkungskreis
und thätige Anhänger zu verschaffen, bedarf es nur
des, vorzüglich beym Römischen Rechte leicht zu füh¬
renden Beweises, daß wir im Besitze einer Gesetzge¬
bung sind, welche die Vernunft ganz oder zum Theil
als die ihrige anerkennen kann. Wenn man daher
nicht ein vollständig entwickeltes System des Natur-
rechts zur Auslegung des römischen Rechts mitbringe,
so sey es 1) durchaus unmöglich, theils den Gründen
der Gesetze nachzuforschen, theils die Gründe dersel¬
ben einzusehen, wenn diese nicht willkührlich sind, son¬
dern reine Ansprüche der gesunden Vernunft enthalten,
und der gemeine Verstand, wie hier beständig als Po¬
stulat vorausgesetzet wird, auf eben die Art, als die
Philosophie, obgleich nur dunkel und undeutlich, durch
dieselben Gründe zu seinen Resultaten geleitet wird.
So wie nun die Philosophie dazu diene, die Gründe
der Gesetze aufzufinden, so könne und müsse dieselbe
2) bey der ganz eigenen Beschaffenheit unserer Gesetz¬
bücher, besonders des Römischen Rechts, sehr oft
dazu augewandt werden, die Grundsätze, denen ge¬
gebene Bestimmungen unterzuordnen sind, auszumit¬
teln. So erscheine die Philosophie als ein unmittel¬
bares Hülfsmittel der Interpretation. Allein sie kön¬
ne auch 3) mittelbar oder entfernt die Auslegung der
Gesetze erleichtern, und der historischen sowohl, als
der unmittelbaren philosophischen Interpretation auf
man=
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Staatsbibliothek
Max-Planck-Institut für
zu Berlin