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raubten ertragen wurde, ein erträglicher oder
unerträglicher Zustand gewesen sey? Einen
objectiven Maaßstab dafür giebt es nicht.
Kein menschlicher Zustand ist allen Menschen
erträglich oder unerträglich. Selbst Sklave¬
rey, die dem Besseren unerträglich ist, kann
erträglich, sogar Wohlthat einer gemeinen
Seele seyn. Was die Sinnlichkeit des einen
leicht verwundet, vielleicht wohl angenehm
berührt, gräbt in die Seele des Andern un=
heilbare Todeswunden. Also nicht die Vorstel=
lungen oder Gefühle anderer Menschen oder
seine eignen darf ein Richter befragen, der
nach diesen Gesetzen richtet; den Geraubten
selbst muß er vor sich nehmen, damit er ein
Seelenexamen mit ihm halte. Ob ihm der
Zustand bis zum unerträglichen unangenehm
gewesen, oder ob der Grad der unangeneh=
men Empfindung unter der Unerträglichkeit
gestanden habe? das ist die Frage; dem
geraubten Kinde und jedem Ungebildeten wird
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Max-Planck-Institut für
zu Berlin