Notizenblatt.
schen degeneriren. „Das ist der Fluch des Uebels, daß es, fortzeugend, Uebles stets
gebärt.” — Ist es nun aber bisweilen unvermeidlich, gegen geistige Gebrechen
mit dergleichen mechanischen Stimulantien oder Stringentien zu verfahren, dann
darf man eben keinen Augenblick vergessen, welch' gefährliche Medicin man handhabt,
und wie leicht es geschehen könnte, daß das Heilmittel selbst zum Gifte umschlüge,
das Mechanische alle freie Geistigkeit erstickte. Und wenn das nummerische Ueberge¬
wicht der Stimmen ein — wir sagen es nochmals — vorläufig durch kein besseres
zu ersetzendes, aber nichts destoweniger wesentlich mechanisches Specificum wi¬
der die Unzulänglichkeiten des Einzelurtheils ist — so ist das ganz simple Resultat
aus all' dem Bisherigen: daß man das geistige Element in jener Operation nicht
sorglich genug wahren, das mechanische nicht ängstlich genug in seine Schranken
zurückdrängen kann. Wo wäre aber ein Verkümmern des Geistigen im Mechani¬
schen trauriger als in der Strafrechtspflege, und wie unzulänglich wären alle Ver¬
besserungen in dem materiellen Eesetze, im Proceß=, Straf= und namentlich
Gefängnißwesen, wenn gerade in dem Moment, wo das geschriebene Wort Fleisch
werden, wo das Gesetz aus seiner Abstractheit heraus in die concrete Wirklichkeit
treten soll — kurz, wenn in der Rechtsfindung wüster Mechanismus statt le¬
bendiger Geistigkeit herrschend würde. Es wird also immer verdienstlich sein, auf
die, von der Seite drohenden Gefahren aufmerksam zu machen, um so mehr ver¬
dienstlich, als die Literatur, bei dem Reichthume weit brillanterer und wirksamerer
Stoffe, sich dieser still=ernsten Frage nicht gerne zuwendet, und die Praris gerade
in der geregelten Berufsmäßigkeit ihrer Functionen Gefahr läuft, auf solche Abwege
zu gerathen. Als einen Beitrag oder mindestens Anstoß in diesem Sinne heißen wir
denn auch das in der Ueberschrift benannte Büchlein willkommen, dessen Titel übri¬
gens schon die Gränzen angibt, welche sich der Verfasser gesetzt hat. Da diese
Monographie der Mehrzahl unserer Leser nicht zur Hand sein dürfte, so wollen
wir vorerst ihren Inhalt in kurzer Zusammenfassung wiedergeben:
Nach §. 425 1. Th. des österr. Strafgesetzbuches ist das Criminalurtheil nach
jener Meinung zu erlassen, für welche sich die absolute Mehrheit der zur Besetzung
des Gerichtes erforderlichen vier und beziehungsweise fünf Votanten ausgesprochen
hat. Spalten sich die Voten nur zwischen zwei Meinungen, so liegt die Mehr¬
heit klar vor; hat, bei gleich getheilten Stimmen der Votanten, der Vorsitzende
eine abweichende Meinung, so stellt der §. 425 die Regel auf, daß nach derjem¬
gen Meinung, welcher die Stimme des Vorsitzers am nächsten kommt, oder
ist diese ganz verschieden — nach erfolglos wiederholter Abstimmung, nach der ge¬
linderen der gleichgetheilten Meinungen abzuschließen ist; alle übrigen möglichen
Fälle einer verwickelteren Stimmenzersplitterung aber sind im Gesetze nicht vorgese¬
hen. Man würde nun nicht nur in letzterem Falle rathlos bleiben, sondern auch
den §. 425 häufig ganz irrig anwenden, wenn man sich nur an die unmittelbare
(ausdrückliche) Aussage der Voten halten, und nicht auch das berücksichtigen wollte,
was sie als mittelbaren (stillschweigenden) Inhalt verschließen. Vermöge dieses
Max-Planck-Institut für