Full text: Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde (Jg. 1844, Bd. 3 (1844))

Notizenblatt. 
schen degeneriren. „Das ist der Fluch des Uebels, daß es, fortzeugend, Uebles stets 
gebärt.” — Ist es nun aber bisweilen unvermeidlich, gegen geistige Gebrechen 
mit dergleichen mechanischen Stimulantien oder Stringentien zu verfahren, dann 
darf man eben keinen Augenblick vergessen, welch' gefährliche Medicin man handhabt, 
und wie leicht es geschehen könnte, daß das Heilmittel selbst zum Gifte umschlüge, 
das Mechanische alle freie Geistigkeit erstickte. Und wenn das nummerische Ueberge¬ 
wicht der Stimmen ein — wir sagen es nochmals — vorläufig durch kein besseres 
zu ersetzendes, aber nichts destoweniger wesentlich mechanisches Specificum wi¬ 
der die Unzulänglichkeiten des Einzelurtheils ist — so ist das ganz simple Resultat 
aus all' dem Bisherigen: daß man das geistige Element in jener Operation nicht 
sorglich genug wahren, das mechanische nicht ängstlich genug in seine Schranken 
zurückdrängen kann. Wo wäre aber ein Verkümmern des Geistigen im Mechani¬ 
schen trauriger als in der Strafrechtspflege, und wie unzulänglich wären alle Ver¬ 
besserungen in dem materiellen Eesetze, im Proceß=, Straf= und namentlich 
Gefängnißwesen, wenn gerade in dem Moment, wo das geschriebene Wort Fleisch 
werden, wo das Gesetz aus seiner Abstractheit heraus in die concrete Wirklichkeit 
treten soll — kurz, wenn in der Rechtsfindung wüster Mechanismus statt le¬ 
bendiger Geistigkeit herrschend würde. Es wird also immer verdienstlich sein, auf 
die, von der Seite drohenden Gefahren aufmerksam zu machen, um so mehr ver¬ 
dienstlich, als die Literatur, bei dem Reichthume weit brillanterer und wirksamerer 
Stoffe, sich dieser still=ernsten Frage nicht gerne zuwendet, und die Praris gerade 
in der geregelten Berufsmäßigkeit ihrer Functionen Gefahr läuft, auf solche Abwege 
zu gerathen. Als einen Beitrag oder mindestens Anstoß in diesem Sinne heißen wir 
denn auch das in der Ueberschrift benannte Büchlein willkommen, dessen Titel übri¬ 
gens schon die Gränzen angibt, welche sich der Verfasser gesetzt hat. Da diese 
Monographie der Mehrzahl unserer Leser nicht zur Hand sein dürfte, so wollen 
wir vorerst ihren Inhalt in kurzer Zusammenfassung wiedergeben: 
Nach §. 425 1. Th. des österr. Strafgesetzbuches ist das Criminalurtheil nach 
jener Meinung zu erlassen, für welche sich die absolute Mehrheit der zur Besetzung 
des Gerichtes erforderlichen vier und beziehungsweise fünf Votanten ausgesprochen 
hat. Spalten sich die Voten nur zwischen zwei Meinungen, so liegt die Mehr¬ 
heit klar vor; hat, bei gleich getheilten Stimmen der Votanten, der Vorsitzende 
eine abweichende Meinung, so stellt der §. 425 die Regel auf, daß nach derjem¬ 
gen Meinung, welcher die Stimme des Vorsitzers am nächsten kommt, oder 
ist diese ganz verschieden — nach erfolglos wiederholter Abstimmung, nach der ge¬ 
linderen der gleichgetheilten Meinungen abzuschließen ist; alle übrigen möglichen 
Fälle einer verwickelteren Stimmenzersplitterung aber sind im Gesetze nicht vorgese¬ 
hen. Man würde nun nicht nur in letzterem Falle rathlos bleiben, sondern auch 
den §. 425 häufig ganz irrig anwenden, wenn man sich nur an die unmittelbare 
(ausdrückliche) Aussage der Voten halten, und nicht auch das berücksichtigen wollte, 
was sie als mittelbaren (stillschweigenden) Inhalt verschließen. Vermöge dieses 
Max-Planck-Institut für
	        
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