I. Abschn. Verfahren in Ehesachen. §. 574.
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auf die Berufungsinstanz die durchaus ungewöhnliche Entziehung einer In
stanz herbeigeführt werde, und deduziren endlich aus der Entstehungsgeschichte
des §. 574, dieser Paragraph sei in §§. 1087, 1089 des nordd. Ent
wurfs vorgebildet. Auch dieser Entwurf habe gemäß seinem §. 422 unter
„Endurtheil" das Endurtheil erster Instanz verstanden. Ueberdies käme
man bei der entgegengesetzten Ansicht auch zu der „exorbitanten Anomalie"
der Zulassung einer Widerklage in der Berufungsinstanz. Umgekehrt dedu
zirt L. Seuffert aus dem nordd. Entwurf die Richtigkeit seiner Ansicht.
In der That findet sich in den norddeutschen Kommissionsprotokollen auf
S. 200 folgender Passus zu §§. 1087, 1089 des nordd. Entwurfs:
„Die Kommission beschloß mit Stimmenmehrheit zu verordnen, daß die
Geltendmachung neuer Ehescheidungsgründe im Laufe desselben Prozesses
nicht als Klagänderung gelte, und daß neue Thatsachen in erster und
zweiter Instanz ohne Einschränkung nachträglich angeführt werden dürfen."
Demnach kann allerdings aus der Weglassung der ausdrücklichen Bestimm
ung in §. 867 des preußischen Entwurfs, wonach die Klagänderung und
die Widerklage in der Berufungsinstanz zugelassen waren, nicht gefolgert
werden, daß der nordd. Entwurf in dieser Frage vom preußischen Entwurfe
abweichen wollte.
Für einen entscheidenden Grund kann aber diese Absicht des nordd.
Entwurfs um deßwillen nicht gelten, weil der dem Reichstage vorgelegte
Entwurf sich auf jenen in keiner Weise bezieht und der Gesetzestext an sich
indifferent ist.
Den entscheidenden Grund scheint mir Petersen a. a. O. damit ge
troffen zu haben, daß er ausführt, die allgemeine Fassung des Paragraphen
dulde keine Einschränkung auf das Verfahren erster Instanz, wie denn die
ser Gedanke auch für die übrigen Paragraphen dieses Abschnitts zutrifft,
soweit nicht die Art ihrer Bestimmungen eine solche Beschränkung erheischt.
Dazu kommen unterstützend noch folgende Momente:
a) Zu §§. 546—550 des Entw. (= §§. 570—573) wird in den
Motiven (Off. Ausg. S. 364, Kortkampf'scher Abdruck S. 542 Spalte 1
Abs. 3) die Aufnahme einer Bestimmung, welche sachliche Vorprüfung der
Klage durch das Gericht anordnet, u. A. in der Erwägung abgelehnt, daß
ja in §. 551 Abs. 1 (= §. 574 Abs. 1) dem Kläger die Befugniß der
Klagänderung eingeräumt sei, wie in §. 862 des preuß. Entw. und Art. 666
der bayer. Prozeßordnung. Hieraus ergibt sich, daß im Sinne der Motive
das Verbot der Klagänderung in Ehesachen ganz allgemein, also auch für
die Berufungsinstanz nicht bestehen soll. Denn es ist nicht nur von „Klag
änderung" ohne Einschränkung die Rede, sondern auch auf §. 862 des
preuß. Entw. Bezug genommen, der in Verbindung mit §. 867 ebendaselbst,