Full text: ¬Die Agrarfrage der Gegenwart (2)

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Leider folgte den Befreiungsedicten vom 9. Oc 
tober 1807 und 14. September 1811 bald eine 
Reaction und der Bauer hatte zu früh gejubelt. In 
Schlesien hatten die Grundherren der Gebirgskreise 
schon 1811 beim König für die aus dem Edict vom 
9. October 1807 ihnen erwachsenen Nachtheile eine 
Entschädigung von 50 Millionen Thaler beantragt. 
Auch in andern Gegenden erhob der Adel aus gleichen 
Gründen Beschwerde über jene beiden Gesetze und 
bezeichnete besonders die Entschädigung, die ihm ge 
währt wurde, als zu niedrig. Diese Beschwerden 
häuften sich dergestalt, daß man im Jahre 1812 schon 
ein Gesetz ausarbeitete, das jene beiden Ablösungsedicte 
berichtigen sollte, als die Befreiungskriege losbrachen; 
in diesen bedurfte der König der ganzen, vollen Hin 
gabe seines Volkes und es blieb daher einstweilen bei 
den Befreiungsedicten. Nach Beendigung des Krieges 
aber, als überall die Reaction gegen die französischen 
Neuerungen aufkam, die Legitimität und das historische 
Recht vielfach eine über ihre naturgemäße Berechtigung 
hinausgehende Anwendung erhielten, ging die Re 
gierung auf Andrängen des Adels ernstlich an die 
Revision der Ablösungsedicte. Zwar fand 
die Disciplin gezwungen, die preußischen Schlachten schlug, 
oder gar sich der Niederlage freute, war nunmehr ein freies 
Volk geworden, das jetzt mit Begeisterung und im edelsten 
Aufschwung des Patriotismus von Sieg zu Sieg schritt, um 
das Vaterland, wie es vom Drucke der Hörigkeit befreit war, 
so auch von der Fremdherrschaft zu erlösen. 
So sehr wir diese Thätigkeit des preußischen Königthums 
anerkennen, so müssen wir doch vor Uebertreibung derselben 
warnen. Der Verlauf unserer Darstellung wird dies begründen. 
Wenn in conservativen Partei=Schriften dem Königthum 
allein die Befreiung des Bauernstandes zugeschrieben wird, so 
macht der Partei=Kampf dies begreiflich wenn aber selbst 
L. v. Stein in den „Drei Fragen des Grundbe 
sitzes“ (Stuttgart 1881, S. 81) blos vom Königthum allein 
spricht, so ist dies unhistorisch und unwissenschaftlich. Ohne 
den Liberalismus — dies kann man getrost behaupten  
wäre der Bauer heute wohl noch nicht frei! Wir sind keine 
Freunde des Liberalismus, aber die Wahrheit steht uns 
in erster Linie!
	        
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