104
die christlichen Moral= und Gewissensvor
würfe gestört, noch weniger aber durch
Bestimmungen des öffentlichen Rechts ge
hindert-werden.
Diese neue Richtung in der Volkswirthschaft be
zeichnen der Liberalismus und seine Anhänger stets
als die Herrschaft der Freiheit! Selten ist
die Welt mehr getäuscht worden, als durch dieses
Wort. Wohl hat der Liberalismus alle wirthschaft
lichen und socialen Organisationen, soweit sie öffent
lichen Rechtes waren, gebrochen (manches, was über
lebt war, mit Recht) und jede organisch mit der
Gesellschaft zusammenhängende Neubildung verhindert,
wohl hat der Liberalismus die sittlichen Rücksichten
und Gebote aus dem Wirtschaftsleben verbannt und
erklärt: Jede Schranke muß fallen, jede Persönlichkeit
muß frei werden von jedem Bande, das ihre Ent
wicklung hemmt, dann erst vermag die Arbeit das
höchste Ergebniß zu liefern, dann erst vermögen Pro
duction, Handel, Verkehr und Erwerb sich auf's Beste
zu gestalten und am meisten Reichthümer zu erzeugen,
denn das Selbstinteresse des Einzelnen, des Arbeiters,
Bauers und Eigenthümers ist der beste Führer; unter
der Herrschaft der allgemeinen Concarrenz werden die
höchsten Leistungen erzeugt, so daß unfehlbar ein all
gemeiner Wohlstand über die Völker kommen muß!
Eine neue Aera des Glücks schien zu blühen und
fand ihren Ausdruck darin, daß der Engländer Adam
Smith, der vor einem Jahrhundert zuerst diese Lehre
wissenschaftlich dargestellt und popularisirt hat, sein
Buch nach dem National=Reichthum benannte,
Er hätte es richtiger nach der nationalen Verarmung
bezeichnet, die als Folge seines Systems kam. Nur
einige hartgesottene Reactionäre und Finsterlinge sahen
tiefer und erkannten die Sophistik jener Beweisführung.
Sie berücksichtigten die menschliche Natur und sahen
voraus, daß die allgemeine Freiheit bei der Abwesen
heit sittlicher Schranken nur denen zu Statten kom
men werde, welche jede Rücksicht bei Seite legten, im
wirthschaftlichen Leben keine sittlichen Gebote mehr