Full text: ¬Die Agrarfrage der Gegenwart (2)

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die christlichen Moral= und Gewissensvor 
würfe gestört, noch weniger aber durch 
Bestimmungen des öffentlichen Rechts ge 
hindert-werden. 
Diese neue Richtung in der Volkswirthschaft be 
zeichnen der Liberalismus und seine Anhänger stets 
als die Herrschaft der Freiheit! Selten ist 
die Welt mehr getäuscht worden, als durch dieses 
Wort. Wohl hat der Liberalismus alle wirthschaft 
lichen und socialen Organisationen, soweit sie öffent 
lichen Rechtes waren, gebrochen (manches, was über 
lebt war, mit Recht) und jede organisch mit der 
Gesellschaft zusammenhängende Neubildung verhindert, 
wohl hat der Liberalismus die sittlichen Rücksichten 
und Gebote aus dem Wirtschaftsleben verbannt und 
erklärt: Jede Schranke muß fallen, jede Persönlichkeit 
muß frei werden von jedem Bande, das ihre Ent 
wicklung hemmt, dann erst vermag die Arbeit das 
höchste Ergebniß zu liefern, dann erst vermögen Pro 
duction, Handel, Verkehr und Erwerb sich auf's Beste 
zu gestalten und am meisten Reichthümer zu erzeugen, 
denn das Selbstinteresse des Einzelnen, des Arbeiters, 
Bauers und Eigenthümers ist der beste Führer; unter 
der Herrschaft der allgemeinen Concarrenz werden die 
höchsten Leistungen erzeugt, so daß unfehlbar ein all 
gemeiner Wohlstand über die Völker kommen muß! 
Eine neue Aera des Glücks schien zu blühen und 
fand ihren Ausdruck darin, daß der Engländer Adam 
Smith, der vor einem Jahrhundert zuerst diese Lehre 
wissenschaftlich dargestellt und popularisirt hat, sein 
Buch nach dem National=Reichthum benannte, 
Er hätte es richtiger nach der nationalen Verarmung 
bezeichnet, die als Folge seines Systems kam. Nur 
einige hartgesottene Reactionäre und Finsterlinge sahen 
tiefer und erkannten die Sophistik jener Beweisführung. 
Sie berücksichtigten die menschliche Natur und sahen 
voraus, daß die allgemeine Freiheit bei der Abwesen 
heit sittlicher Schranken nur denen zu Statten kom 
men werde, welche jede Rücksicht bei Seite legten, im 
wirthschaftlichen Leben keine sittlichen Gebote mehr
	        
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