Full text: ¬Die Agrarfrage der Gegenwart (1)

229 
gelang ihnen dies im Gerichtswesen, das bis 
dahin noch durch das Volk, beziehungsweise dessen 
Schöffen, verwaltet wurde. Aber auch diese wurden 
allmälig verdrängt durch die Rechtsgelehrten, die sich 
nicht spöttisch genug darüber äußern konnten, daß in 
Deutschland die Rechtsprechung in den Händen „un 
gebildeter“ Leute und selbst der Bauern liege, gleich 
als sei vor Erfindung des neuen Rechts die Recht 
sprechung in unserm Volke auf der tiefsten Stufe 
gestanden. In Wirklichkeit war dies nicht der Fall 
und die deutschen Schöffen, besonders in den Städten 
waren ganz wohl im Stande, selbst die verwickeltsten, 
oft auch handelsrechtlichen Fragen, wie sie im Leben 
vorkommen, an der Hand ihres gesunden Verstandes, 
ihres Rechtsgefühls und der Rechtsübung, richtig zu 
lösen. Trotzdem mußten sie der neuen Einrichtung 
weichen. Die Fürsten hatten ihre Verwaltungs 
geschäfte schon längst durch römische Rechtsgelehrte 
besorgen lassen, dann besetzten sie die Hof- und Land 
gerichte mit ihren ergebenen römischen Doctoren und 
als diese auch hier sich als treue Beförderer der fürst 
lichen Alleinherrschaft und Beschneider der Volksrechte 
unentbehrlich gemacht hatten, fiel unter dem Druck der 
fürstlichen Gewalt gegen das Ende des 15. Jahr 
hunderts das gesammte Gerichtswesen in ihre Hände. 
Es wurde dem Volke entzogen und den Dienern der 
Fürsten übergeben. Die Rechtsprechung, die das Volk 
bisher durch seine Schöffen öffentlich nach seinem meist 
untrüglichen und an der christlichen Sittenlehre ge 
schärften Rechtsgefühl selbst geübt hatte, kam dadurch 
in die Abhängigkeit von der Staatsregierung und 
wurde seit dieser Zeit nur zu oft ein Werkzeug der 
herrschenden Person oder Partei. Im deutschen Volke 
aber erlosch allmälig selbst das Bewußtsein von seinem 
früheren christlich-germanischen Rechte. 
Der Rechtsraub, welchen die Fürsten und 
Grundherren gemeinsam mit den römischen Juristen 
am deutschen Volke und seinem freiheitlichen Rechte 
begangen hatten, bezeichnet einen ungeheueren gewalt 
samen Bruch mit unserer großen christlichen Ver¬
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer