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Dies war der Hauptfehler des deutschen Mittelalters,
der mit der altgermanischen Einrichtung des Wahl
königthumes zusammenhing. Die Folge war, daß die
weltlichen und (bald aus freiem Willen, bald der
Noth gehorchend) auch die geistlichen Herren rück
sichtslos nach Vermehrung der Macht und der Unter
thanen strebten und dabei keine andere Schranke
mehr anerkannten als die Gewalt. So führten die
Herren einen ununterbrochenen bald stillen, bald
lärmenden Krieg, der auf Gewinnung von Land und
Menschen gerichtet war. Wohl wehrten sich die
Städte, deren Handel und Wohlstand durch die
Fehden gehemmt, deren Freiheit durch die Gelüste der
Herren ernstlich bedroht war, allein der große rhei
nische Städtebund (1381) wurde durch die umliegen
den Fürsten bald für immer gesprengt. So lange sie
das Landvolk nicht mobil machten — und das thaten
sie nicht — waren die Städte dem Adel auf die
Dauer doch nicht gewachsen, obwohl die Kaiser, welche
die Gefahr für ihre Krone ganz wohl erkannten, meist
die Städte begünstigt hatten. Aber auch dies war
vergeblich gewesen und so waren gegen Ausgang des
Mittelalters der Kaiser wie die Städte an Bedeutung
dem Grundadel gegenüber schon stark zurückgetreten,
die Entscheidung über die Geschicke des deutschen
Volkes lag vorwiegend in den Händen der Landes
fürsten, welche schon den größten Theil der Reichs
gewalt an sich gerissen hatten und nun in ihrem
absolutistischen Streben Unglück auf Unglück brach
ten über ihr Volk. Neben der Waffengewalt
und der grausamsten Fehde bedienten sie sich
zu diesem Zwecke ganz besonders der römi
schen Rechtsgelehrten, welche gegen gute Bezahlung
so
aus ihren Büchern bewiesen, was jene wollten,
z. B. daß die fürstliche Macht die einzig giltige
sei und alles Uebrige, Kaiser, Reich und Volk, dieser
gegenüber keine Berechtigung hätte. Von der Hoch
schule zu Bologna ausgehend, hatten sich jene Rechts
gelehrten diese Ansichten aus alten Urkunden aus
gegraben und für den Gebrauch ihrer Brodherren