Full text: ¬Die Agrarfrage der Gegenwart (1)

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capitalistisches Grundeigenthum, wie wir es jetzt haben, 
war ganz unbekannt, das individuelle aber bildete sich 
allmälig aus. Die Deutschen hatten in den eroberten 
römischen Landen sich theils einen Theil vom Besitze 
der Besiegten angeeignet, theils wie die Franken sich 
mit dem begnügt, was die römischen Kaiser, ihre Be 
amten und Soldaten, sowie die vertriebenen oder ver 
tilgten römischen Familien an Boden besaßen. Diese 
Genügsamkeit hatte ihren besonderen Grund in der 
Nothwendigkeit, die Streitkräfte beisammen zu halten. 
Die Eroberer theilten sich in diese Ländereien und 
ordneten sie in ähnlicher Weise wie ihre Herrschafts 
und Gefolgschafts=Verhältnisse. Wie fast alle Völker 
bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte, hatten 
auch die alten Deutschen die große Scheidung in 
herrschende und beherrschte Stände, doch war 
der deutsche Sclave von jeher nicht so übel dran ge 
wesen, wie der römische. Dieser war eine vollkommene 
Sache, mit welcher die Herren ganz nach Belieben 
verfahren konnten. Der deutsche Sclave aber, richtiger 
Knecht genannt, wohnte vielfach auf einem besondern 
Hof, der dem Herrn gehörte und welchen er gegen 
gewisse Abgaben zu bebauen hatte. Seine Stellung 
ähnelte der des späteren römischen Colonen. Diese 
bessere Stellung des deutschen Knechtes hing vielfach 
damit zusammen, daß auch der deutsche Freie durch 
eine verlorene Spielwette, durch Verschuldung, durch 
gewisse Verbrechen, oder falls er im Kriege besiegt 
wurde, in die Reihe der Knechte hinabsank. Mit 
diesen germanischen Knechten vermischte sich, was von 
den besiegten Römern in die Sclaverei hinabgedrückt 
wurde. Die christliche Kirche wirkte nun dahin, daß 
die alte heidnische Sclaverei, die vielfach fortbestand, 
immer mehr gemildert wurde. Dies geschah dadurch, 
daß die Kirche eindringlich und immer wieder die 
Gleichheit aller Menschen als Ebenbilder Gottes, die 
Gleichheit der Erlösung durch den Sohn Gottes und 
die Gleichheit der übernatürlichen Bestimmung der 
Menschen predigte und so die Unterschiede der Classen 
in höherer religiöser Einheit zu versöhnen suchte. Zur
	        
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