Full text: ¬Die Agrarfrage der Gegenwart (1)

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lange die gegenwärtige Gesetzgebung bleibt, nicht aus 
der Abhängigkeit vom Capital erlösen. Die freie Ver 
fügbarkeit über das Grundeigenthum, die zwangsweise 
Erbtheilung, die Hypotheken=Gesetzgebung, die unbe 
dingte Verschuldungsfähigkeit des Bodens, überhaupt 
der Character des beweglichen Vermögens, den man 
ihm gegen seine Natur beigelegt hat, bewirkt, daß er 
in beständiger Abhängigkeit vom Capital bleiben muß. 
Der Capitalwerth eines Gutes ergibt sich aus dem 
Geldwerthe seines Durchschnittsertrages nach dem 
landesüblichen Zinsfuße capitalisirt, selbstverständlich 
nach Abzug der Steuern und anderweitigen Betriebs 
ausgaben. Steigt dieser Capitalwerth durch Schutz 
Butter, Eier, Handelspflanzen übergegangen ist. Diese braucht 
man gegen die Concurrenz fremden Kornes und Fleisches nicht 
zu schützen. Je niedriger der Kornpreis wird — Fleisch wird 
auch in dieser Schichte wenig consumirt —, desto besser. Dieser 
Classe nützt die Kornconcurrenz der jungen Länder. 
Die Maßregeln zu Gunsten des Kornbauernstandes, welche wir 
eben erwähnt haben, kommen auch diesen Handelsbauern zu 
gute und erleichtern ihnen die vermehrte Concurrenz, die ihnen 
durch vermehrte Nebenproduction des inländischen Kornbauern 
bereitet wird. Der hohe Kornzoll und Kornpreis dagegen 
beschweren alle jene Bauernfamilien, welche Korn 
regelmäßig kaufen müssen. Diese sind überall in West¬, 
Mittel- und Süddeutschland massenhaft vorhanden. Der Korn 
zoll ist gegen sie, wie gegen die gesammte industrielle Produc 
tion, eine schwere Bedrückung, denn der Betrieb der kleinen 
industriösen Landwirthschaft ist Arbeitsbetrieb, die Arbeit ist 
umgewandeltes Brod. Der Großgrundbesitz allein 
gewinnt kurze Zeit an Kornzöllen. Die Exportindustrie, 
die ganze industrielle Lohnarbeit, der Handwerkerstand, dessen 
Ernährungsbasis der gewerbliche Bedarf des Arbeiter- und 
Bauernstandes ist, verlieren beim Kornzoll. Daher unter keinen 
Umständen Kornzölle, wenn möglich nicht einmal zur Retorsion 
fremder Ausschließungsmaßregeln. Die Maßregel ist ein 
höchst gehässiges Privileg für den Großgrundbesitz 
um den Preis der Bedrängung des ganzen übrigen 
Volkes 
Wir sind im Allgemeinen mit Schäffles Ausführungen 
einverstanden, glauben aber, daß er der Classe der Bauern, 
welche vom Kornschutzzoll Nachtheil haben, eine zu große 
numerische Bedeutung beilegt. Ihre Zahl ist, die wenigen rein 
weinbauenden Striche abgerechnet, nicht so groß, wie er an 
nimmt.
	        
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