Full text: ¬Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preussen (6)

VI. Provinz Hannover. 
und sie besafsen durch die ihnen zustehenden Rechte ’) die Macht, ihr Interesse 
genügend wahrzunehmen. 
Es ist daher an sich wohl möglich, dafs schon in früher Zeit die An 
erbensitte 2) bestand. 
Auch über die Bildung des Anerbenrechts, die anscheinend etwa seit 
dem Beginn des 16. Jahrhunderts erfolgte und spätestens gegen Ende des 
18. Jahrhunderts vollendet war, sind wir nur mangelhaft unterrichtet. 
Einigermassen lässt sich erkennen, wie die eigenartige Normierung der 
Abfindungen bei den Meiergütern entstanden ist. Denn nach den neueren 
historischen Forschungen ist anzunehmen, dass das Meierverhältnis in älterei 
Zeit ein Pacht verhältnis war. Das Meiergut stand ausschliefslich im Eigentum 
des Grundherrn. Der Bauer hatte nur ein zeitlich bestimmtes Nutzungsrecht 
Er besafs jedoch gewöhnlich die Gebäude, von denen aus das Grundstück be 
wirtschaftet wurde. Beim Tode des Meiers konnten sich daher die Erben nur 
in den Wert des Allodialvermögens, insbesondere der Gebäude, teilen. Wurde 
einer der Erben Nachfolger des Meiers in das Meiergut — naturgemäls in 
der Regel derjenige, der die Gebäude übernahm —, so hatte er von dem 
Meiergut keine Abfindungen zu zahlen, weil dies eben nicht zum Nachlals 
vermögen gehörte. Als nun das Meierrecht erblich wurde, wurde das Ver 
fügungsrecht des Grundherrn über das Meiergut zwar beschränkt, sein Eigen 
tumsrecht blieb aber bestehen, infolgedessen kam auch für die Bemessung 
der Erbabfindungen nur das Allodialvermögen in Betracht. Die Bevorzugung 
des Anerben war daher nur „die ganz natürliche Ausgestaltung der That 
sache, dafs das Meiergut kein Eigentum des Meiers ist.“3 
Allein in vielen Fällen ist das Meierrecht nicht aus dem alten Pacht 
recht hervorgegangen,*) sondern es war, wie das Besitzrecht der Eigenbe 
hörigen,5) eine Fortbildung des alten Hörigkeitsbesitzrechts. 
Hier ist nicht sicher festzustellen, wie sich das Vorzugsrecht des An 
erben entwickelte. Ebenso bleibt ungewifs, wie das Leibzuchtsrecht, die 
Interimswirtschaften, die Zufluchtsrechte u. dergl. sich ausgebildet haben. 
Meist geschah dies im Wege der Gewohnheit; wo die Gesetzgebung derartige 
Institute geregelt hat — und dies war nur in einzelnen Landesteilen Han 
novers der Fall —, hat sie in der Regel kein neues Recht geschaffen, sondern 
sich an die bereits bestehende Sitte oder das Gewohnheitsrecht angeschlossen 
Unter diesen Umständen läfst sich auch die Frage nicht beantworten. 
welchen Faktoren die Bildung eines besonderen bäuerlichen Erbrechts zu 
verdanken ist. 
Nur das dürfen wir aus der Natur der Sache und den Zeugnissen 
der Gesetzgebung“) schliessen, dass, wie das Anerbenrecht dem Interesse der 
*) Vgl. oben S. 26 und 29. 
2) Über den Unterschied zwischen Anerbenrecht und Anerbensitte s. oben S. 21 Anm. 2. 
3) KNAPP, Grundherrschaft und Rittergut, 1897, S. 96. 
*) Vgl. WITTICH S. 391. 
5) Vgl. oben § 4. 
*) Vgl. oben § 3 und § 4.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer