II. Die wirtschaftliche Bedeutung des rheinischen Erbrechtes.
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Linie, dafs sich das Erbrecht des Code mit dem Rechtsbewufstsein des
Volkes decke.
Schon in den zwanziger Jahren wurde ein vergeblicher Versuch ge
macht, ein anderes Erbrecht einzuführen. Der 6. rheinische Landtag von
1841 lehnte einen Gesetzentwurf ab,*) der die Teilbarkeit des Grundvermögens
beschränken und ein Minimum bestimmen wollte, unter welchem fernere Teil
barkeit des Grundbesitzes nicht mehr gestattet sein sollte. Eine umfangreiche
Litteratur über die Frage entstand, aus der besonders PErER FRANz REICHEN
SPERGERs leidenschaftliche und glänzende Verteidigung der Freiteilbarkeit
(„Die Agrarfrage aus dem Gesichtspunkte der Nationalökonomie, der Politik
und des Rechts und mit besonderem Hinblicke auf Preufsen und die Rhein
provinz“. Trier 1847) hervorragt. Auf der anderen Seite zeichnete sich
namentlich der unermüdliche Regierungsrat BEck aus; doch beziehen sich
seine Schriften zumeist auf die Zusammenlegung, die bis zum Erlass des
Zusammenlegungsgesetzes stets mit der Frage der Freiteilbarkeit im Erbgange
zusammen behandelt wurde.
Schliefslich verlangte die Regierung von dem 27. rheinischen Provinzial
landtage eine gutachtliche Äufserung darüber, „ob und in welcher Weise in
der Rheinprovinz ein Bedürfnis nach anderweitiger Regelung der Erbfolge
in den Bauernhöfen hervorgetreten ist und bejahendenfalls auf welche Art
diesem Bedürfnis Rechnung getragen werden kann.“. Die vermutete Geneigt
heit der Regierung, den sog. ScHORLEMErschen Gesetzentwurf über die Ver
erbung der Landgüter auf die Rheinprovinz auszudehnen, veranlafste die
Lokalabteilung Düren des landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreussen an
das Präsidium des Vereins den Antrag zu stellen, einer Verwahrung gegen
den Gesetzentwurf beizutreten. Die Lokalabteilung erklärte: „dass sie die
Ausdehnung eines solchen oder ähnlichen die Freiheit und Teilbarkeit des
(Anerbenrechts-) Grundeigentums beschränkenden und dabei die hier zum Ge
meingut der ganzen Bevölkerung gewordenen Anschauungen über das natür
liche Erbrecht aufs tiefste verletzenden Gesetzes als ein Unglück betrachte,
welches nicht allein volkswirtschaftlich von den nachteiligsten, sondern auch
moralisch von den schrecklichsten Folgen begleitet sein werde.“2) Herr
v. HEISTER, der Direktor der Sektion Volkswirtschaft des Vereins, empfahl, die
Anwendbarkeit der Prinzipien des voN SCHORLEMERSchen Gesetzentwurfes auf die
*)Verhandlungen des 6. rhein. Landtages. Koblenz 1841. S. 97.
2) Diese Erklärung der Lokalabteilung datiert aus dem Jahre 1880. Nach den Er
gebnissen der Berufs- und Gewerbezählung von 1882 waren im Kreise Düren 9139 Wirt
schaften vorhanden; davon hatten 3102 kein, 957 nur und 5080 teilweise Pachtland. Die
Gesamtwirtschaftsfläche betrug 36 675 ha, die Anbaufläche 32720 ha. Pachtland war davon
13707 ha. Bei der bereits erwähnten Erhebung über die bäuerlichen Erwerbs- und Wohlstands
verhältnisse vom Jahre 1882 sagte die Lokalabteilung Düren (Jahresbericht des landw. Ver
eins etc. für 1882, S. 10): „Der zu teure Ankauf ist ebenso häufig Grund der starken Ver
schuldung, weil die Zinsen ihn (den Ankäufer) erdrücken und dieselben selbst unter nicht
ungünstigen Verhältnissen kaum zu erschwingen sind. Es werden oft Preise gezahlt, die mit
den Durchschnittsreinerträgen in keinem Verhältnisse stehen. Sagt man einem Manne, er
soll z. B. für 1 Morgen 40 M Pacht und Steuern aufbringen, so wird er antworten: Das ist
Vererbung des ländlichen Grundbesitzes. I. Köln.