Full text: ¬Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preussen (3)

Geschichtliche Entwickelung der geltenden Vererbungsgewohnheiten. 
Ergebnis dieser Operation ist eine bedeutende Erhöhung der 
Abgaben. Ähnlich wie hier, so dürfte auf zahlreichen andern Grundherr 
schaften die Entwickelung gewesen sein, namentlich in den neu ent 
standenen weltlichen Herrschaften. Denn einmal lag es in der 
Eigenart des halb-öffentlichen, halb-privaten Abhängigkeitsverhältnisses, dass 
die Hörigkeit dazu neigte, das Wesen einer Privatunterthänigkeit abzustreifen, 
und zweitens drängte das finanzielle Bedürfnis dort mit besonderen Nachdruck 
zu jener Umgestaltung. In freilich wenig durchsichtiger Weise schildert 
SCHULTES, der Geschichtsschreiber der Grafschaft Henneberg, diesen Vor 
gang, eine Darstellung, die indessen durch ihre urkundliche Basis nicht 
ohne Wert ist. Er führt aus, dass in älterer Zeit die „teutschen Bauern 
leibeigne Knechte“ gewesen seien, und erst späterhin persönliche Freiheit 
erlangt hätten. Die Bedingungen, unter denen diese Besserung der 
Rechtsverhältnisse erfolgte, kennzeichnet er mit den Worten: „In 
späteren Zeiten, sowie der Adel immer mehr zusammenstarb und die 
Regenten anderen Kameralgrundsätzen folgten, fing man an, die fast in 
allen Dorfschaften zerstreuten Höfe und Güter dem Landmann gegen immer 
währende Geld- und Getreidezinsen und zum teil mit Vorbehalt der Zehnden 
und andrer geringerer Abgaben dergestalt zu verleihen, dass in Kauf- und 
Veränderungsfällen der neue Gutsbesitzer verbunden war, dem Lehnherren 
für die erneuerte Beleihung eine gewisse dem Werte der Grundstücke 
angemessene Lehnware zu entrichten, um dadurch das demselben daran 
zustehende Eigentum (dominium directum) von Steuern anzuerkennen*)“. 
Neben den erwähnten Momenten trug noch ein weiterer Umstand zur 
Zersetzung des alten grundherrlichen Verhältnisses bei: die gesteigerte Mobili 
sierung der grundherrlichen Rechte. Sie wird durch die überaus zahlreichen 
Urkunden aus dem 13. und 14. Jahrhundert bewiesen, die Kauf-, Tausch-, 
Pfandgeschäfte betreffen, durch welche Grundbesitz, bezw. Rechte an solchem 
an Dritte zur Übertragung gelangen. Die Grundherrlichkeit als ein ein 
heitlicher Komplex von Rechten löst sich damit auf, verflüchtigt sich in 
einzelne Rechte (Ansprüche auf Zinsleistungen, Dienste, Gerichtsbarkeit 
u. s. w.), die verschiedenen Personen zustehen. 
Die juristische Natur des neu entstandenen bäuerlichen Besitzrechtes 
im 14. Jahrhundert lässt sich nicht leicht in scharfer Weise präzisieren. 
Unzweifelhaft handelt es sich um ein erbliches Nutzungsrecht, aber zweifel 
haft ist, wie weit das Verfügungsrecht des Inhabers über die Substanz geht, 
wie weit ihm Verkauf, Verschuldung, Teilung erlaubt ist. Nach den wenigen 
hierüber vorliegenden Urkunden muss indessen angenommen werden, dass 
es zu den erwähnten Rechtsgeschäften der Einwilligung des Grund- bezw. 
Zinsherren bedurfte. So bedarf z. B. in einer Urkunde vom Jahre 1302 
eine Witwe zur Schenkung zweier Hufen, die sie nach „jure hereditario“ 
inne hatte, der Genehmigung ihres Obereigentümers, obwohl für diesen eine 
Beeinträchtigung seiner Zinsrechte durch jene Schenkung offenbar nicht 
’) SCHULTES: a. a. O. Bd. I, Abt. 2. S. 339,
	        
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