Full text: ¬Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preussen (3)

Bestehende Erbgewohnheiten. 
Ist die Kinderzahl eine grössere, oder sind die Erben im Heimatsort 
wohnhaft, dann tritt vielfach jene Absplitterung gewisser Ländereien ein. 
So erhielt z. B. in Dingelstedt bei einer Wirtschaft von 160—170 Morgen 
die eine im Orte verheiratete Tochter 40 Morgen, der Sohn den Rest des 
Hofes. In einem anderen Falle, der sich in demselben Dorfe im Jahre 1890 
zutrug, handelte es sich um eine Wirtschaft von 126 Morgen, wo 5 Kinder und 
zwar 3 Söhne, 2 Töchter als Erben vorhanden waren. Die beiden Töchter und 
1 Sohn bekamen je 5 Morgen, in den Rest von 111 Morgen teilten sich 
die beiden anderen Söhne zu gleichen Teilen. In einem dritten Falle 
hatte der Besitzer vier Erben, die Wirtschaft war 240 Morgen gross, und 
daneben ein beträchtliches Barvermögen vorhanden. Drei von den Erben 
bekamen nun je 21 Morgen Land und 16000 Thaler bar, der vierte 
Erbe erhielt den Rest des Hofes. Wie ersichtlich, ist die Land 
zuweisung je nach der Grösse der Wirtschaft, der Kinderzahl u. s. w. eine 
verschiedene, sie lässt indessen stets den oder die Haupterben im Besitze 
ausreichender Ländereien. 
Für diese stärkere Landzuweisung haben sie an die übrigen Miterben 
Geldauszahlungen zu leisten, deren Höhe nicht dem vollen Verkaufswert, 
sondern nur etwa der Hälfte desselben entspricht. Das Streben, den Über 
nehmer leistungsfähig zu stellen, verleugnet sich also auch hier nicht. 
Während die gekennzeichnete Erscheinung im Kreise Öschersleben 
nur selten auftritt, ist ihre Häufigkeit im Kreise Halberstadt bereits grösser, 
und in der Grafschaft Wernigerode ist sie sogar die Regel. Das 
dortige Amtsgericht berichtet: „Testamente, Hofübergabe und Erb 
teilungsverträge stimmen im wesentlichen darin überein, dass einem Kinde 
oder Erben der eigentliche Hof gegen Zahlung eines bestimmten Annahme 
preises und Gewährung eines Altenteils an den abgebenden Wirt über 
eignet wird, der Annahmepreis und die Wandeläcker dagegen gleichmässig 
unter sämtliche Erben bezw. Kinder verteilt sind.“ Eine Begünstigung 
des Übernehmers dürfte auch hier vorliegen, denn da die Höhe des Annahme 
preises plus Kapitalwert der Leibzucht von dem Berichterstatter bloss auf 
das 25fache des Grundsteuerreintrages und des Gebäudesteuernutzungswertes 
geschätzt wird, möchte sie hinter dem wirklichen Verkaufswert doch erheblich 
zurückbleiben. Grössere wohlhabende Okonomen sind allerdings möglichst 
auf die Zusammenhaltung ihres Besitzes bedacht, und namentlich soll das 
den wohlhabend gewordenen Äckerbürgern des Städchens Wernigerode mit 
Erfolg gelingen. 
Eine recht bemerkenswerte Sonderstellung zeigt nur das Äcker 
städtchen Croppenstedt im Öscherslebener Kreise, indem hier die gleiche 
naturale Teilung der Ländereien üblich ist’): „Der hiesige Ort enthält 
ca. 70 grössere und kleinere, 4 bis 400 Morgen umfassende, mit Anspann 
versehene Wirtschaften. Seit 40 Jahren ist hier eine einzige Wirtschaft 
an einen Sohn gefallen, sonst gilt die ständige Regel, nicht nur den Besitz, 
’) Mitteilungen des Herrn Gutsbesitzers WESTPHAL in Croppenstedt.
	        
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