VIII. Provinz Sachsen.
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schwister und Sicherstellung der Eltern nicht die Rede sein kann.
diesen Fällen findet nach dem Tode des Besitzers der Verkauf des Be
sitztums und Verteilung des überschiessenden Kaufpreises nach den Regeln
der Intestaterbfolge statt“ (Seehausen). Wie hervorgehoben, liegen die
Ursachen für diese misslichen Verhältnisse nicht in der geltenden Erbgewohn
heit, sondern u. a. in dem hier besonders starken Druck der Agrarkrisis.
4. Einwirkung der Erbgewohnheit auf die Bevölkerungsbewegung.
Der Zusammenhang zwischen der Erbgewohnheit und der Bevölkerungs
bewegung ist nicht ohne weiteres erkennbar; die Bevölkerungsstatistik giebt
die bezüglichen Zahlen, ohne die Differenzierung der Bevölkerung in
soziale Klassen zu berücksichtigen. Der Einfluss sozialer Momente auf die
hier in Rede stehenden Erscheinungen lässt sich indessen nicht vernach
lässigen, so dass die generellen Zahlen über die Bewegung der Bevölkerung
des platten Landes nicht ausreichend sind.
Von mancher Seite wird behauptet, die Sitte geschlossener Vererbung
bewirke in gewissen Gegenden eine Beschränkung der Kinderzahl — ein
Vorwurf, der sonst gerade dem System der Realteilung gemacht wird. Herr
v. NATHUSIUS, der frühere Vorsitzende des landwirtschaftlichen Zentral
vereins der Provinz Sachsen, bezeichnet z. B. „Geldheiraten und das so
genannte Zweikindersystem als die im Herzogtum Magdeburg und in der
Altmark üblichen Mittel, um den Übernehmer gut zu stellen’).“ Nach
GERLAND seien im ehemaligen Fürstentum Halberstadt, „wie man regel
mässig findet, nur ein bis zwei Kinder vorhanden* 2).“ Ähnlich bemerkt der
Berichterstatter für den anstossenden Bezirk Hannovers: „Die Kinderzahl
sei meistens zwei, selten über vier3).“ Dem Verfasser selbst sind an Ort
und Stelle nicht selten derartige Bemerkungen und Verhältnisse bekannt
geworden. So sei nur die Äusserung eines Gemeindevorstehers erwähnt,
dass der Kindersegen namentlich dann aufhöre, wenn der erstgeborene
Sprössling ein Knabe ist. Stellen sich zuerst Mädchen ein, dann würde die
Kinderzahl regelmässig grösser. Beobachtungen für einzelne Gemeinden
legten dar, dass dort pro bäuerliche Familie 1,5, in einem andern Falle
2 Kinder auf die bestehende Ehe entfielen.
So lange es indessen an einer ausreichenden Statistik fehlt, dürfen
die obigen Beobachtungen nicht verallgemeinert werden. Dass hier und
dort ein Zweikindersystem vorkommt, mag zutreffend sein, aber derartige
Erscheinungen finden sich auch in anderen Ständen. Insbesondere möchte
dasselbe bei wohlhabenden Besitzer zu finden sein, bei denen aus dem
Wohlstand ein gewisser Hang zum Wohlleben und der Wunsch entspringt,
die eigne Existenz und die der Nachkommen sorgenfrei zu gestalten.
Der Vorwurf einer generellen Beschränkung der Deszendenz darf dem in
’) Verhandlgen d. sächs. Provinziallandtags. 1882. S. 1116.
2) Schrft. d. Vrs f. Sozialpolitik. Bd. 24. S. 132.
3) Ebda. S. 90.