854 IV. Zusammenh. Rechtsschutzinteressen. § 153. Klagänderung.
einmal in der Klagschrift gewählten Angriffsweise zu beharren,
würde eine Ausnahmemafsregel sein, die zu der sonstigen Freiheit
beider Parteien, neue Thatsachen bis zur letzten mündlichen Ver
handlung und sogar noch in der Berufungsinstanz nachzuholen, in
keinem Verhältnis stände und um so weniger begreiflich wäre,
als die Klagschrift ohnehin nicht mehr Prozefsstoff enthält,
sondern ihn nur ankündigt. Unter diesen Umständen müsste
das Gesetz, falls es die Absicht gehabt hätte, einen Wechsel der
Angriffsweise des Klägers im Interesse der Prozefsbeschleunigung
zu unterdrücken, dies mindestens deutlich und ausdrücklich sank
tionieren. Durch das vieldeutige Verbot der Änderung des Klag
grundes ist das nicht geschehen. Es ist deshalb im Zweifel an
zunehmen, dafs im geltenden Recht durch das Klagänderungsverbot
nur die formlose Vertauschung der Ansprüche entsprechend
der formlosen Häufung der Ansprüche (oben § 152) ausgeschlossen
werden sollte. Unzulässige Klagänderung ist somit nur dasjenige
von der Klagschrift abweichende Vorbringen des Klägers in der
mündlichen Verhandlung, durch welches das Begehr der urteils
mässigen Feststellung auf eine andere Leistungspflicht ge
richtet wird als die in der Klage bezeichnete, — sei es durch
Forderung eines andern Leistungsgegenstands, sei es durch
Berufung auf eine andere Art von Rechtsverhältnissen (dingliches
Recht statt Forderungsrecht), sei es in Fällen, wo ein Recht
bestimmter Art auf bestimmte Leistung im gegebenen Zeitpunkt
mehrfach denkbar ist (Forderungsrecht auf Fungibilien-, be
sonders Geldzahlung) durch Berufung auf einen andern historischen
Entstehungsgrund !.
Die herrschende Meinung legt allerdings das Gesetz in entgegengesetztem
Sinn aus und verwendet das Klagänderungsverbot unter dem Zwang der
gemeinr. Überlieferung nach wie vor als eine Mafsregel zur Ordnung und Be
schleunigung des Verfahrens. Sie kann aber um deswillen keine Autorität
beanspruchen, weil sie bei der Auslegung des § 240 die entscheidende Frage
nur in der Frage sucht, welche Fälle als einzelne Klagänderungen anzusehen
seien, und darüber, dafs die prinzipale und wichtigere Alternative die der
verschiednen Bedeutung und Zweckbestimmung des Klagänderungs
1 Zu vermeiden ist jedenfalls, wie auch sonst zu der Frage Stellung genommen wird
(vgl. das Folgende), die Anschauung, als hätte die Auffassung des Klagänderungs
verbots im einen oder andern Sinn nur Bedeutung für gewisse Gruppen von Klagen.
Gemeinhin wird nämlich angenommen, dafs sie sich beschränken auf Klagen aus ab
solutem Rechte (Eigentum, Erbrecht, Patent-, Autorrecht etc.). In solchen Prozessen
sei nach der einen Auffassung der Wechsel des Erwerbsgrunds Klagänderung, nach der
andern nicht. Für die (praktisch wichtigeren) obligatorischen Klagen dagegen sei
die Vertauschung des historischen Entstehungsgrunds nach jeder Auffassung eine un
zulässige Klagänderung, weil jedes obligator. Rechtsverhältnis durch Berufung auf andren
Thatbestand ein individuell andres werde (Leonhard 674, Wach, Vortr. [2. A. 23, auch
Rich. Schmidt S.217). — Dieser Standpunkt ist jedoch in solcher Allgemeinheit keines
wegs zutreffend. Vielmehr giebt es sehr viele obligatorische Ansprüche, die trotz Ver
tauschung des Thatbestands doch individuell dieselben bleiben und zwar ist dies immer
der Fall, wenn durch Berufung auf den neuen Thatbestand die Berufung auf den ur
sprünglich geltend gemachten zur Erreichung der beantragten Leistung nach der Gesamt
darstellung des Klägers überflüssig wird. Letzteres liegt z. B. vor in den oben lit. b ge
nannten Beispielen. Auch für obligatorische Klagen ist deshalb die Alternative: An
spruchsvertauschung oder Verwechslung der Angriffsmittel? von Bedeutung.