Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe. Absolute und dispositive Mängel. 799
niemals auf die Rechtshängigkeit der Streitsache zu be
gründen gestattet, geschlossen werden, dafs die Einrede der Rechts
hängigkeit (§ 235 nr. 1. § 247 Abs. 2 nr. 1) nur Anfechtungsgrund,
nicht Nichtigkeitsgrund ist. Für jeden einzelnen Prozelsmängel
ist demnach aus der Gesamtheit der gesetzlichen Vorschriften ge
sondert festzustellen, ob er Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrund ist.
Freilich darf die Unterscheidung der Prozefsvoraussetzungen
nicht auf qualitative innere Gegensätze begründet werden, ins
besondere nicht darauf, ob sie ein öffentliches Interesse berühren
oder lediglich im Parteiinteresse aufgestellt sind (vgl. oben § 20).
Mittelbar besteht ein öffentliches Interesse an allen der Pro
zefsordnung entstammenden Vorbedingungen des Prozesses. Un
mittelbar aber stehen im öffentlichen Interesse überhaupt nur
die vereinzelten Vorbedingungen, die der Aufrechterhaltung öffent
licher Einrichtungen, der Organisation von Justiz und Verwaltung
(Zulässigkeit des Rechtswegs), der Verteilung der Gerichtsbarkeit
unter verschiedene Gerichtsstufen und -sprengel (Zuständigkeit).
Aber gerade die Zuständigkeit wird je nach dem Wechsel der
privaten Interessen verschieden bestimmt. Und andererseits sind
manche Prozefsvoraussetzungen, welche keine öffentlichen Einrich
tungen berühren, sondern unmittelbar nur im Interesse der Ein
zelnen aufgestellt sind (Prozefsfähigkeit), gleichwohl ex officio zu
prüfen. Die verschiedene Bedeutung der Prozefsvoraussetzungen
richtet sich also nur nach ihrer gröfseren oder geringeren
Wichtigkeit für den Rechtsschutzzweck und beruht auf durch
aus positivrechtlichen Zweckmäfigkeitsvorschriften.
Das wird nicht nur dadurch anschaulich, dafs die verschiedenen
Gesetzgebungen ganz verschiedene Mängel als Nichtigkeits- oder
als Anfechtungsgründe anerkennen können (vgl. z. B. unten über
die Rechtskraft, — S. 807), — sondern vor allem dadurch, dals
ein und dasselbe Gesetz denselben Mangel in den verschiedenen
Abschnitten des Prozesses (in der ersten Instanz, der Oberinstanz,
dem Vollstreckungsverfahren) verschieden, hier als Nichtigkeits
dort als Anfechtungsgrund, zu behandeln in der Lage ist. Aulser
dem kommt hinzu, dafs zwischen Nichtigkeits- und Anfechtungs
gründen Zwischenstufen bestehen, die den Gegensatz in wesent
lichen Punkten nivellieren; insbesondere ist es denkbar, dals auch
auf gesetzliche Prozefsvoraussetzungen eine Parteidisposition aus
geübt wird (beachte unten S. 810 das über die Zuständigkeit
Gesagte) und dafs sie sich dadurch den nur auf Rüge zu berück
sichtigenden Erfordernissen annähern. Gerade deshalb aber darf
der Gegensatz von Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen
nicht, wie vielfach geschieht, mit dem Gegensatz von absoluten
und relativen bezw. dispositiven Mängeln identifiziert
werden.
Hiernach wäre es nicht richtig, wollte man die nur auf Antrag des Be
klagten zu beachtenden Prozefserfordernisse überhaupt nicht als Prozels
voraussetzungen anerkennen; die so zu rügenden Mängel den Prozelsvoraus
setzungen als Prozefshindernisse oder ähnliches gegenüberstellen. Auch das