Full text: Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts ([Hauptbd.])

I. Quellen. § 9. England, Frankreich, Deutschland. 
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Gerichtsverfassung, verkörpert vor allem im Lehnsgericht der 
fast unabhängigen Freiherrn (seigneurs) und ohne Prävalenz des 
Königsgerichts, dessen Praxis seinen Einflufs erst seit ca. 1180 in 
den königlichen Domänen, gestützt auf die Amtleute (baillis), 
von neuem geltend zu machen beginnt. Demgemäfs bleibt auch 
das Verfahren hier mehr (als in II) volksrechtlich, stützt sich 
überwiegend auf den Zweikampf und läfst es zum Zeugenbeweis in 
der königsrechtlichen Form der inquisitio (enquête) nur selten 
kommen. Auch bei dem Vordringen der königlichen Richter ist es 
vor allem die Urkunde, die davon den Vorteil zieht (unten S. 81). 
IV. (Deutschland.) Umgekehrt wie in England und Frank 
reich geht die Entwicklung in Deutschland vom 9. bis zum 
13. Jahrhundert den Weg immer fortschreitender Zersplitterung; 
in der Zeit der umfassenden Neuaufzeichnung des Prozefsrechts im 
Sachsenspiegel (ca. 1230) und den sich daran anschliefsenden 
Quellen ist dieselbe schon fast vollendet. Nur erhielten sich während 
dieses langsamen Auflösungsprozesses neben dem Lehnsgerichte 
über Vasallen und Dienstmannen, dem grundherrlichen Gerichte 
über Unfreie, halbfreie Bauern und (in der Immunität) freie 
Hintersassen die germanische Gerichtsbarkeit über Freie in ver 
hältnismäfsig grossem Umfang, und zwar in den alten Verkör 
perungen als Grafengericht (Landgericht der Grafen mit den 
Schöffen’, und als Niedergericht (Cent-, Go-Gericht des Cent 
grafen, Schultheifsen, — in Sachsen: des Gografen mit dem ge 
samten Dingvolk). Erst allmählich tritt mit der wachsenden 
staatlichen Selbständigkeit der Grafen und Herzöge (Landeshoheiten) 
an Stelle des persönlich unter Königsbann richtenden Grafen der 
Richter (Vicegraf, Vogt) des Landesherrn. Demgemäfs aber be 
wahrt auch das deutsche Gerichtsverfahren ganz besonders seinen 
alten volksrechtlichen Charakter und sein Typus wird durch den 
Sachsenspiegel und den Richtsteig Landrechts in annähernder Rein 
heit auf lange hinaus festgestellt. Insbesondere behält es die feste 
gesetzliche Regelung der Prozefserledigung für die verschiedenen 
Formen des Rechtsschutzbegehrens: für Klage „um Schuld“ und 
„um Ungericht“ (Delikt (Erledigung durch Eineid, „Unschulds 
eid“ des Beklagten) und für Klagen „um Gut“ (Erledigung durch 
Eid des Klägers mit „Gezeugen“). 
Doch zeigen sich auch hier 
Nachwirkungen der fränkischen Gesetzgebung (im Versäumnis-, 
Vollstreckungsverfahren). 
Dabei vollzieht sich aber innerhalb der deutschen, speziell der säch 
sischen Quellen noch eine reiche Entwicklung, — besonders in den Beweis 
Erschöpfende und gründliche Darstellung der G.Verf. nach den sächs. Quellen bei 
Planck (s. oben), — die beste, etwas veraltete, aber an juristischem Gehalt noch nicht 
übertroffene Erörterung der Grundgedanken bei Hänel, Beweissystem des Sachsen 
spiegels, 1858; vorher: Planck, Beweisurteil, 1848. Ansprechende kurze Schilderung 
Engelmann, Civilprozels II, Heft 1 (1890). Eine genaue Schilderung des Verfahrens ist 
überflüssig: Es ist weder originell, noch von erheblichem Einflufs auf die Gesamtentwick 
lung, — letzteres wenigstens nur in den allgemeinen Grundzügen des Verfahrens, die die 
gemeingermanischen (oben § 7) sind.
	        
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