III. Prozefshandlungen. § 102. Revision.
564
a) „Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dals die
Entscheidung auf der Verletzung eines — Gesetzes — beruhe
(§ 511). Revisionsgrund ist hiernach nicht der sog. Fehler in
der Feststelluug der Thatfrage, — der Umstand, dals das
Berufungsgericht sich eine irrtümliche oder lückenhafte Über
zeugung von den zu beurteilenden thatsächlichen Vorgängen
gebildet hat, sei es weil dasselbe angeblich gewisse wesentliche
Thatsachen nicht oder falsch berücksichtigt hat (weil sie nicht
behauptet oder weil sie unrichtig zugestanden wurden), sei es weil
es verfügbare Beweismittel nicht erhoben hat (weil Zeugen nicht
benannt, Urkunden nicht vorgelegt wurden), sei es weil das Gericht
die erhobenen Beweismittel angeblich unrichtig gewürdigt hat
(weil es einem Zeugen nicht Glauben geschenkt hat etc.). Viel
mehr ist Revisionsgrund nur der Fehler in der Beantwortung der
- die Revision ist nur revisio in iure, nicht in
Rechtsfrage,
facto.
Andererseits besteht aber hinsichtlich der Berufung auf
rechtliche Mängel keine Beschränkung. Als „Gesetzesverletzung
im Sinn des § 511 gilt jede Nichtanwendung oder jede un
richtige Anwendung einer Rechtsnorm (§ 512). Sie liegt
also vor:
1, gleichviel ob Gesetzesrecht im engern Sinne oder Gewohn
heitsrecht falsch angewandt wurde und hinsichtlich des ersteren
wieder, ob ein Gesetz im formellen Sinn oder eine (kraft
gesetzlicher Ermächtigung erlassene) Verordnung falsch an
gewendet wurde.
Dagegen genügt nicht die falsche Auslegung von Vertragsbestimmungen
oder die falsche Anwendung von Erfahrungssätzen, insbesondre also auch
nicht von Handelsgebräuchen, soweit sie nur als solche in Betracht kommen
(oben S. 251)1.
2. Es gilt ferner gleich, ob die fehlerhafte Rechtsanwendung
sich auf das Rechtsverhältnis erstreckt, das den Streitgegen
stand bildet, und zwar hier wiederum, ob der Fehler an Normen des
Privatrechts, Bestimmungen von Staatsverträgen, des Völker
—
oder ob innerhalb des Ver
rechts begangen wurde?
fahrens ein Fehler in der Anwendung des Prozelsrechts
begangen wurde. Gerade die letztere Möglichkeit bringt es mit
sich, dafs der Fehler der Rechtsanwendung äufserlich an
Unrichtigkeiten der Thatsachenfeststellungen hervortreten
kann, — dann nämlich, wenn prozessuale Rechtsnormen verletzt
werden, von welchen die Aufklärung des Sachverhalts abhängt,
Regeln der Beweislast, der Beweiswürdigung, des Stoffsammlungs
Ihnen gleich stehen statutarische Bestimmungen (von Versicherungsgesell
schaften etc.), die als präsumtiver Vertragswille in Betracht kommen. Über das Eisen
bahnbetriebsreglement s. die Judik. bei Seuffert § 512 n. 1 lit. c. (R.O.H.G. 7, 134.
9, 339).
2 Unricht. Anw. von Staatsverträgen (R.G. 2, 110), einer als Landesges. publ. päpstl.
Bulle (R.G. 3, 342).