Berufungsverhandlung.
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im Betrieb der Parteien oder des Gerichts (oben § 342 ff.) nach Mafs
gabe der für die erste Instanz geltenden Grundsätze1. Vor allem
können die Parteien „Angriffs- und Verteidigungsmittel, welche
in erster Instanz nicht geltend gemacht sind, insbesondere neue
Thatsachen und Beweismittel vorbringen (§ 491, 1, sog. Noven
recht, ius novorum). Entsprechend können „die in erster Instanz
unterbliebenen oder verweigerten Erklärungen über Thatsachen,
Urkunden und Eideszuschiebungen“ in der Berufungsinstanz nach
geholt werden (§ 493).
Über die ausnahmsweise Beschränkung bezüglich der prozefshindernden
Einreden sowie der Rüge heilbarer Prozefsmängel einzelner Prozelshandlungen
s. im Zusammenhang unten § 144. 146. 148.
b) Die Auffassung des Gesetzes, soweit es sich mit der kontra
diktorischen Verhandlung beschäftigt, erhält ihre volle Bestätigung
durch die gesetzliche Behandlung des Versäumnisfalls. Die
Versäumnis des Berufungsklägers untersteht zwar keinen andern
Grundsätzen als die des Klägers oder die des Stellers eines Prozels
gesuchs (§ 312) in erster Instanz: bleibt der Berufungskläger im
Termin zur mündlichen Verhandlung aus, so wird die Berufung
durch Versäumnisurteil verworfen (also ohne Prüfung, aber dafür
unter Offenstehen des Einspruchs, § 504, 1 in Verb. m. § 295) 2.
Dagegen stellt die C.P.O. für den Fall der Versäumnis des Be
rufungsbeklagten eigenartige, von den erstinstanzlichen ab
weichende Grundsätze auf. „Beantragt der Berufungskläger gegen
den im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienenen
Berufungsbeklagten das Versäumnisurteil, so ist, soweit das fest
gestellte Sachverhältnis nicht entgegensteht, das thatsächliche
mündliche Vorbringen des Berufungsklägers für zugestanden zu
erachten und in Ansehung einer zulässigerweise beantragten Be
weisaufnahme anzunehmen, dafs sie das in Aussicht gestellte Er
gebnis gehabt habe“ (§ 504, 2). In dieser Vorschrift liegt nun
nichts anderes als eine weitere Konsequenz der (zu a) entwickelten
Grundanschauung des Gesetzes, wonach der Prozefsstoff erster In
stanz für die zweite Instanz in jedem Falle beachtlich sein soll.
Der Berufungskläger darf nicht, wie in Analogie des § 296 anzu
nehmen wäre, beliebig neue Thatsachen behaupten, mit der Wir
kung, dafs sie ohne weiteres vom Gericht als zugestanden behandelt
werden müssen. Vielmehr hat das Berufungsgericht zu prüfen:
1. ob den Behauptungen des Berufungsklägers das „festgestellte
Sachverhältnis, d. h. die Feststellungen im Thatbestand des
ersten Urteils, entgegensteht, sei es weil in erster Instanz über
die fraglichen Thatsachen ein Zugeständnis abgegeben oder weil
1 Z. B. auch hier Augenscheinseinnahme Sachverständigenvernehmung ex officio.
Eben deswegen darf der Oberrichter auch (gemäss § 363, 1. 369) Zeugen vernehmungen der
Unterinstanz ex officio wiederholen (Wach 252).
Vgl. oben S. 390. Über den Fall, dafs sich im Versäumnisfall der Mangel von
Prozefsvoraussetzungen herausstellt oder dafs ein Mangel in den Formalien der Berufung
(Form, Frist) vorliegt, s. unten § 144.