Full text: Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts ([Hauptbd.])

III. Prozefshandlungen. § 83. Grundsätze der Beweislast. 
446 
Als praktisches Kennzeichen dafür, ob die Behauptung des Rechts 
leugners (Beklagten) Leugnen des Klaggrunds oder Einrede sei, kann also 
folgendes betrachtet werden: die zwischen Kläger und Beklagtem streitige 
Thatsache ist Teil des Klaggrunds und vom Kläger zu beweisen, wenn sie 
zur Vollständigkeit des Vorgangs gehört, der vom positiven Recht als rechts 
erzeugender Thatbestand für Ansprüche dieser Gattung anerkannt 
wird, — sie ist Gegenstand einer Einrede, wenn sie einen Zustand bedeutet. 
der zu rechtserzeugenden Thatbeständen beliebig vieler Gattungen hinzu 
treten kann, oder wenn sie einen selbständigen Thatbestand neben 
dem vollständigen Klaggrundthatbestand verkörpert. 
Im Gegensatz hierzu will neuerdings freilich Fitting (s. oben) wieder 
ein anderes Kennzeichen aufstellen. Jede Partei solle hiernach nur die That 
sachen beweisen, die die Anwendbarkeit eines Rechtssätzes begründen, auf 
den sie sich beruft, — der Gegner dagegen die Vorbedingungen eines Aus 
nahmerechtssatzes, der zu seinen Gunsten wirkt, und es seien demgemäss alle 
Anwendung findenden Normen in Normalrechtssätze und Ausnahme 
rechtssätze (von denen es dann wieder Ausnahmen geben könne) für die 
Zwecke der Beweislastverteilung zu sondern; — z. B. bei einer Klage auf 
Schadensersatz wegen Körperverletzung von dem Normalrechtssatz der Ver 
antwortlichkeit für solchen Schaden der Ausnahmesatz, dafs bei Notwehr 
die Verantwortlichkeit nicht bestehe, — hiervon wieder der Ausnahmesatz, 
dals Überschreitung der Selbstverteidigung, Exzefs eine Verantwortlich 
keit gleichwohl begründe und hiervon wieder der Ausnahmesatz, dafs seelische 
Erschütterung auch die Überschreitung unverantwortlich mache (B.G.B. § 227, 
vgl. St.G.B. § 53). Die Verschiedenheiten in den praktischen Konsequenzen im 
Vergleich zu den obigen Darstellungen sind bedeutende’. Die ganze An 
schauung fällt jedenfalls mit der Erkenntnis, dafs die entwickelten Grundsätze 
positives Gewohnheitsrecht sind. Aber auch de lege ferenda hat sie keine 
Berechtigung. Sie fliefst aus der unrichtigen Vorstellung, als ob es im Civil 
prozels nur die Rechtsfolgen von Thatbeständen, die Anwendbarkeit von 
Rechtssätzen zu prüfen gelte (s. oben S. 143). Aber die Aufgabe des C.P. ist 
vielmehr die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Privat 
rechtsansprüchen, und von diesem Gesichtspunkt aus ist auch die Be 
weislast zu verteilen?. 
IV. (Beweislast für prozessuale Thatsachen.) Ganz 
unabhängig von den Grundsätzen, die für die Beweislast hinsichtlich 
der Begründung des Anspruchs und der Rechtsschutzbedingungen 
gelten, bemisst sich die Beweislast hinsichtlich derjenigen Thatsachen. 
von denen der Erlafs der prozessualen Vorentscheidungen 
abhängt. Einerseits kann sie bezüglich solcher Thatsachen bald 
den Kläger, bald den Beklagten treffen, jenachdem der eine oder 
der andere den für eine Betriebs-, Stoffsammlungshandlung etc. 
erheblichen prozessualen Erfolg (Armenrechtserteilung, Ablehnung 
eines Richters, Abkürzung einer Frist u. s. w.) zu erreichen be 
1 Es wäre dann bei Klagen aus Rechtsgeschäft die vom Beklagten behauptete Be 
dingtheit des Geschäfts vom Beklagten zu beweisen, gleichviel ob Suspensiv- oder 
Resolutivbedingtheit (Fitting 55, — o. S. 445 n. 1); ebenso die vom Beklagten behauptete 
Thatsache, dafs das Geschäft vom Kläger oder vom Beklagten in fremdem Namen ab 
geschlossen worden (Fitting 57, — oben S. 445 n. 3) u. s. w. 
2 Von diesem Gesichtspunkt geht auch die sächsische Praxis aus, wenn sie den 
Gegensatz von Klaggrund und Einrede festhält, aber in andrer Weise durchführt. Sie 
behandelt als rechtshindernde Einreden nur das Vorbringen, das gegen die (an sich 
schlüssige) Klagdarstellung einen historisch selbständigen Thatbestand, d. h. ein neues 
Ereignis, geltend macht (z. B. eine Nebenverabredung von einem späteren Tage), gleich 
viel wie sich dasselbe juristisch zum Klaggrund verhält (vgl. Pöschmann a, a. 0.).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer