III. Prozefshandlungen. § 83. Grundsätze der Beweislast.
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Als praktisches Kennzeichen dafür, ob die Behauptung des Rechts
leugners (Beklagten) Leugnen des Klaggrunds oder Einrede sei, kann also
folgendes betrachtet werden: die zwischen Kläger und Beklagtem streitige
Thatsache ist Teil des Klaggrunds und vom Kläger zu beweisen, wenn sie
zur Vollständigkeit des Vorgangs gehört, der vom positiven Recht als rechts
erzeugender Thatbestand für Ansprüche dieser Gattung anerkannt
wird, — sie ist Gegenstand einer Einrede, wenn sie einen Zustand bedeutet.
der zu rechtserzeugenden Thatbeständen beliebig vieler Gattungen hinzu
treten kann, oder wenn sie einen selbständigen Thatbestand neben
dem vollständigen Klaggrundthatbestand verkörpert.
Im Gegensatz hierzu will neuerdings freilich Fitting (s. oben) wieder
ein anderes Kennzeichen aufstellen. Jede Partei solle hiernach nur die That
sachen beweisen, die die Anwendbarkeit eines Rechtssätzes begründen, auf
den sie sich beruft, — der Gegner dagegen die Vorbedingungen eines Aus
nahmerechtssatzes, der zu seinen Gunsten wirkt, und es seien demgemäss alle
Anwendung findenden Normen in Normalrechtssätze und Ausnahme
rechtssätze (von denen es dann wieder Ausnahmen geben könne) für die
Zwecke der Beweislastverteilung zu sondern; — z. B. bei einer Klage auf
Schadensersatz wegen Körperverletzung von dem Normalrechtssatz der Ver
antwortlichkeit für solchen Schaden der Ausnahmesatz, dafs bei Notwehr
die Verantwortlichkeit nicht bestehe, — hiervon wieder der Ausnahmesatz,
dals Überschreitung der Selbstverteidigung, Exzefs eine Verantwortlich
keit gleichwohl begründe und hiervon wieder der Ausnahmesatz, dafs seelische
Erschütterung auch die Überschreitung unverantwortlich mache (B.G.B. § 227,
vgl. St.G.B. § 53). Die Verschiedenheiten in den praktischen Konsequenzen im
Vergleich zu den obigen Darstellungen sind bedeutende’. Die ganze An
schauung fällt jedenfalls mit der Erkenntnis, dafs die entwickelten Grundsätze
positives Gewohnheitsrecht sind. Aber auch de lege ferenda hat sie keine
Berechtigung. Sie fliefst aus der unrichtigen Vorstellung, als ob es im Civil
prozels nur die Rechtsfolgen von Thatbeständen, die Anwendbarkeit von
Rechtssätzen zu prüfen gelte (s. oben S. 143). Aber die Aufgabe des C.P. ist
vielmehr die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Privat
rechtsansprüchen, und von diesem Gesichtspunkt aus ist auch die Be
weislast zu verteilen?.
IV. (Beweislast für prozessuale Thatsachen.) Ganz
unabhängig von den Grundsätzen, die für die Beweislast hinsichtlich
der Begründung des Anspruchs und der Rechtsschutzbedingungen
gelten, bemisst sich die Beweislast hinsichtlich derjenigen Thatsachen.
von denen der Erlafs der prozessualen Vorentscheidungen
abhängt. Einerseits kann sie bezüglich solcher Thatsachen bald
den Kläger, bald den Beklagten treffen, jenachdem der eine oder
der andere den für eine Betriebs-, Stoffsammlungshandlung etc.
erheblichen prozessualen Erfolg (Armenrechtserteilung, Ablehnung
eines Richters, Abkürzung einer Frist u. s. w.) zu erreichen be
1 Es wäre dann bei Klagen aus Rechtsgeschäft die vom Beklagten behauptete Be
dingtheit des Geschäfts vom Beklagten zu beweisen, gleichviel ob Suspensiv- oder
Resolutivbedingtheit (Fitting 55, — o. S. 445 n. 1); ebenso die vom Beklagten behauptete
Thatsache, dafs das Geschäft vom Kläger oder vom Beklagten in fremdem Namen ab
geschlossen worden (Fitting 57, — oben S. 445 n. 3) u. s. w.
2 Von diesem Gesichtspunkt geht auch die sächsische Praxis aus, wenn sie den
Gegensatz von Klaggrund und Einrede festhält, aber in andrer Weise durchführt. Sie
behandelt als rechtshindernde Einreden nur das Vorbringen, das gegen die (an sich
schlüssige) Klagdarstellung einen historisch selbständigen Thatbestand, d. h. ein neues
Ereignis, geltend macht (z. B. eine Nebenverabredung von einem späteren Tage), gleich
viel wie sich dasselbe juristisch zum Klaggrund verhält (vgl. Pöschmann a, a. 0.).