370, III. Prozefshandlungen. § 74. Form des Stoffsammlungsbetriebs.
müste zur Entgegennahme der Rezesse die Verhandlung vom Gericht neu
eröffnet werden, was wieder mit dem Geschäftsgang des Gerichts, dem Interesse
der nachrückenden Termine, schwer vereinbar ist. Infolgedessen kommt diese
Feststellung, wie nach der Enquête fast einstimmig von den Gerichten an
gegeben wurde, nur ganz selten vor (das. 136). Bisweilen geben die An
wälte aus eignem Antrieb, ohne gegnerischen Antrag, ihre Nova zu den
Akten (138). Wenn vereinzelt der Vorsitzende ex officio alles Verhandelte
protokollieren läfst (L.G. Berlin, Enquête 140), so ist dies gesetzlos und der
Mündlichkeit schädlich.
Je weniger die offizielle Beurkundung in der Verhandlung von Bedeu
tung ist, desto mehr Wichtigkeit haben an allen deutschen Landgerichten die
inoffiziellen Notizen der Kollegiumsmitglieder erlangt. Solche werden
üblicherweise an fast allen Gerichten wenigstens vom Vorsitzenden und vom
Referenten (Urteilsverfasser) angefertigt (Enquête 142). Doch wäre es wun
schenswert, dafs die Anfertigung derselben vom Gesetz ausdrücklich zum In
halt einer Amtspflicht erhoben würde, deren gesetzmässige Erfüllung vom
Vorsitzenden zu überwachen ist und die zur Kontrolle auch dem dritten
Mitglied obliegt.
3. Aufser den genannten Beurkundungen im Lauf des Pro
zesses liegt aber dem Gericht noch eine beurkundende Zusammen
fassung alles Parteivorbringens am Schlüsse des Prozesses oder
eines Prozefsstadiums insofern ob, als jedes Urteil (unten § 91),
besonders das Urteil über den Anspruch, „eine gedrängte Darstellung
des Sach- und Streitstands auf Grundlage der mündlichen Vorträge
der Parteien unter Hervorhebung der gestellten Anträge, den vom
Gesetz sog. Thatbestand zu enthalten hat (§ 284 nr. 3). Der
Thatbestand ist Beurkundungsmittel, das ebenso eine Rechenschafts
ablage des Gerichts bezüglich der erschöpfenden Benutzung alles
Vorgebrachten gegenüber den Parteien wie eine Konservierung des
Verhandlungsinhalts für die Zukunft (besonders in Hinblick auf
eine Nachprüfung eines andern Gerichts) bedeutet.
Die Abfassung des Thatbestands wird vom Gesetz neben und unabhängig
von der Angabe der Entscheidungsgründe (§ 284 n. 4) im Urteil gefordert.
Er steht also zu letzteren im Gegensatz! und enthält deswegen nicht, wie
diese, die subjektiven Erwägungen der Beweiswürdigung und Anwendung
des Rechtssatzes auf das Faktum, mit deren Hilfe das Gericht zur Annahme
eines geschlossnen historischen Bildes und daraus zur Findung des Urteils
über den Anspruch selbst gelangt (unten § 82), sondern die objektive Wieder
gabe der einzelnen Stoffbestandteile und des Parteivorbringens, das (nach
oben S. 342) die Grenzen der Stoffsammlung bindend bestimmt, also im einzelnen
(abgesehen von den Anträgen) die genaue Angabe der Parteibehauptungen,
Bestreitungen, Geständnisse, Beweisantretungen, sowie auch der Punkte, in
denen Erklärung unterblieben. [Ebenso sind die erhobnen Beweismittel
anzugeben, doch wird deren Inhalt meist durch Verweisung auf die Protokolle
festgestellt (s. unten § 81). In der Zusammenstellung ist das Gericht an sein
Gedächtnis, unterstützt durch Schriftsätze (nr. 1) und Privatnotizen (nr. 2),
gewiesen. Nach den fast übereinstimmenden Angaben der Gerichte (Enquete
142 f.) reicht dies im allgemeinen aus, ohne Schwierigkeit den Thatbestand
getreu herzustellen, sodafs der Vorwurf Bährs, der Thatbestand sei ein
1 Dafs auch äufserlich in der Urteilsurkunde der Thatbestand von den Gründen
gesondert wird, ist das natürliche und übliche, wenn auch nicht notwendig (R.G. III.
23. 11. 80. 4, 421). — Vgl. Pfizer, Form und Inh. des Th., Z. 17, 66 (1892).