Full text: Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts ([Hauptbd.])

Wert der Mündlichkeit. Beurkundung und Schriftlichkeit. 
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Eine sehr bedeutende Steigerung würde der Mündlichkeitsformalismus 
erfahren, wenn das Gesetz das Mündlichkeitsprinzip mit einem Formalprinzip 
der „Einheit und Unteilbarkeit der mündlichen Verhandlung 
verbände, d. h. wenn es den Grundsatz aufstellte: die für das Urteilsmaterial 
entscheidende mündliche Verhandlung sei lediglich die letzte Verhandlung 
und es müsse deshalb alles Vorbringen der Parteien, falls es beachtlich 
bleiben solle, in jedem Termin zur Fortsetzung der Verhandlung wiederholt 
werden. Dieser Grundsatz soll nach den Motiven zur C.P.O. 25. 128 und 
einer ihnen folgenden verbreiteten Meinung angeblich vom Gesetz anerkannt 
sein1. In Wahrheit aber spricht ihn C.P.O. nirgends aus (§ 297, wonach die 
Versäumnis in jedem späteren Termin der im ersten in ihren Folgen gleich 
stehen soll, — unten § 77 — beweist nichts, da das Versäumnisverfahren 
überhaupt eine Durchbrechung des regelmässigen Rechtsgangs ist). Somit 
besteht kein Grund, die praktisch ganz nutzlose und für den Geschäftsgang 
fast undurchführbare Forderung einer unausgesetzten Wiederholung aller 
Verhandlungen in das Gesetz hineinzutragen 2, und mit Recht haben sich die 
Untergerichte fast ohne Ausnahme von dieser scholastischen und das Münd 
lichkeitsprinzip mifsverstehenden Forderung freigemacht (Enquête S. 91, die 
dissentierenden Gerichte S. 96 a. 123)3. Ganz unerklärlich wird vor allem 
der aus ihr gefolgerte Satz, dafs die Parteien nach Abschlufs der Beweis 
aufnahme noch einmal das gesamte Streitmaterial darzulegen hätten; er ist 
hinfällig mit der Erkenntnis, dafs die mündliche Verhandlung (abgesehen von 
den unbestrittnen Behauptungen) nichts weiter als Betrieb der Stoffsammlung, 
d. h. Mittel zum Zweck der Beweisaufnahme ist (S. 339). Wenn § 258 vorschreibt: 
„über das Ergebnis der Beweisaufnahme haben die Parteien unter Darlegung 
des Streitverhältnisses zu verhandeln“, so bedeutet das lediglich, dals den 
Parteien Gelegenheit gegeben wird, „die ihnen günstige Auffassung des Be 
weisresultats dem Gericht eingänglich zu machen oder doch zu demselben 
durch Veränderung des Angriffs, bezw. der Verteidigung Stellung zu nehmen“ 
Es gilt also vielmehr das Gesamtprinzip für die mündliche Verhandlung, 
d. h. die Zusammengehörigkeit aller Termine in dem Sinn, dafs das nur in 
einem Termin vorgebrachte auch ohne Wiederholung berücksichtigenswert 
bleibt (falls nicht die Partei das Vorbringen — gemäfs dem Verhandlungs 
prinzip oben § 72 — zurückzieht oder ändert). 
Natürlich erfährt diese Behandlung eine Einschränkung für die Fälle, 
wo wegen längerer Pause zwischen den Terminen, wegen Schwierigkeit des 
Streitstands etc. sich das Gericht an den Inhalt der früheren Verhandlung 
nicht mehr erinnert. Dann ist das Gericht berechtigt, bezw. nach seinem 
Ermessen verpflichtet, die Wiederholung der früheren Verhandlung eintreten 
zu lassen, wie nach einem Wechsel in der Gerichtsbesetzung (S. 364). Doch 
kann hier ebenfalls die Wiederholung in extenso durch ein zusammenstellendes 
Referat des Vorsitzenden, eines Anwalts, durch blosse Bezugnahme der Par 
teien auf die Hauptpunkte etc. ersetzt werden. 
Die An 
III. (Beurkundung und Schriftlichkeit.) 
erkennung des Mündlichkeitsprinzips (II) schliefst an sich eine 
schriftliche Fixierung des Verhandlungsinhalts nicht aus 
Dieser Mein. folgen noch alle Kommentare (selbst Gaupp § 119 IV) Fitting § 48, 
Planck I, 190. Manche finden sich mit dem Bedürfnis der Praxis dadurch ab, dals sie 
sich anstatt der wörtlichen Wiederholung inkonsequenterweise (Wach. Enquête 89) mit 
einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Bezugnahme auf die frühere Verhandlung 
begnügen 
2 Besonders betont von Wach, Vortr. 6, Enquête 89,— so auch Hellmann 354 u. a. 
3 R.G. II. 13. Jan. 85. 14, 34 4 nimmt zwar auch die Wiederholung des Streitstoffs in 
jeder Verhandlung an, aber nur beiläufig;in unrichtiger Begründung einer richtigen Ent 
scheidung.— Eingeschränkt wird sie jedoch vom R.G. wie auch von andren (Gaupp a. a. 0.) 
durch die Konzession, dafs prozessuale Rechtsgeschäfte, einmal vorgenommen, nicht 
wiederholt zu werden brauchen, um beachtlich zu bleiben (Verzichte, Geständnisse, Rüge 
formwidriger Prozefsakte § 247. 267 — vgl. R.G. IV. 16. Apr. 94. 33, 374. 
Näheres hierüber und über die Stellung der Praxis dazu Wach, Enquête 99.
	        
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