Full text: Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts ([Hauptbd.])

Richterliche Mitverantwortlichkeit für die Stoffbeschaffung. 
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der sämtlichen Anwendungen des Verhandlungsprinzips (oben II). 
Hauptsächlich sind hierfür die erfahrungsmässig häufig in praxi 
auftretenden Fälle mafsgebend, wo die Scheidungs-, Ungültigkeits-, 
Nichtigkeitsklage in beiderseitigem Einverständnis der Gatten an 
gestellt wird oder wenigstens thatsächlich die Auflösung der Ehe 
beiden erwünscht ist, oder wo die Klage auf Herstellung des ehe 
lichen Lebens gegen einen getrennt lebenden, flüchtig gewordenen 
Ehegatten angestellt wird, der sich absichtlich nicht verteidigt, 
üm durch die Feststellung der Desertion den Thatbestand für die 
künftige Ehescheidungsklage zu schaffen u. s. w. Um dem zu be 
gegnen oder wenigstens allzu grobe Mifsbräuche zu verhüten, gilt 
hier fast uneingeschränkt: 
a) Prüfung von Amtswegen, d. h. 
a. Berücksichtigung und Unterbeweisstellung von Thatsachen, 
die nicht von der Partei behauptet sind, auch von Amtswegen, 
soweit sie zum Zweck der Aufrechterhaltung der Ehe dienen 
(§ 581 jetz. Fass.)’, sowie nach der folgerichtigen Ausdehnung 
des E. d. Novelle im Rechtsstreit über die Nichtigkeit der Ehe oder 
die Feststellung ihres Bestehens oder Nichtbestehens auch zum 
Zweck der Ermittlung, ob die Ehe nichtig sei oder nicht bestehe 
(§ 581, 2)) 
3. Unterbeweisstellung von Thatsachen, die behauptet, aber 
zugestanden oder nicht bestritten sind (§ 577), [nach Fassung 
der Novelle in Ansehung solcher Thatsachen, welche die Scheidung 
oder die Anfechtung der Ehe oder das Recht, die Herstellung des 
ehelichen Lebens zu verweigern, begründen sollen, sowie im Prozefs 
über die Nichtigkeit oder die Feststellung des Bestehens oder 
Nichtbestehens einer Ehe in Ansehung solcher Thatsachen, welche 
die Nichtigkeit oder Gültigkeit, das Nichtbestehen oder Bestehen 
der Ehe begründen sollen 2). 
b) Untersuchung von Amtswegen, nämlich Anordnung 
der Erhebung von Beweisen, die die Parteien nicht angetreten 
haben, auch wenn dies Zeugen, Urkunden, Eide sind. Dies ist in 
§ 581 und 577 in gleichem Umfang wie das Prüfungsrecht (lit. a) 
anerkannt3. 
Z. B. im Scheidungsprozefs Offizialberücksichtigung des Ehebruchs des Klägers. 
der (durch sog. Kompensation mit dem angeblichen Ehebruch des Beklagten) die Aufrecht 
erhaltung der Ehe bewirkt, — im Prozefs über Herstellung des ehelichen Lebens off, 
Berücks. der Mifshandlungen, der Ungesundheit der Wohnung, die die Beklagte zur De 
sertion getrieben habe. (R.G. 31, 150. 33, 174 u. ö.) 
Entspr. tritt für solche Thatsachen aufser Kraft auch der Verzicht auf die Be 
eidigung der Zeugen und Sachverständigen (unten § 86, IV). 
« Dals die gerichtliche Untersuchungsthätigkeit in zwei getrennten Zweigen, sowohl 
als offizielle Thatsachenprüfung wie als offizielle Beweismittelerhebung auftreten kann 
und dals das Gesetz je nach der Situation nur das eine ohne das andre (nr. 2 u. 3) oder 
beides vereinigt (nr. 4) vorschreiben kann, hat zuerst Stein, Wissen 92 scharf betont. 
Weniger glücklich aber ist es, wenn er die erste als Ausflufs des Offizialprinzips, die andre 
Thätigkeit als Ausflufs des Inquisitionsprinzips bezeichnet (— dies legt wieder die Ver 
wechslung des amtlichen Betriebs der Stoffsammlung mit dem amtlichen Betrieb des 
ganzen Prozesses, der Entscheidungsthätigkeit nahe, oben § 66, vgl. S. 341). Unrichtig 
ist es, wenn er die richterliche Befreiung von der Beweisantretung der Partei (nr. 2) als 
Freiheit von der Parteidisposition „in der Rolle des Angreifers“, — die richterliche Be 
freiung von der Thatsachenbehauptung und -bestreitung (nr. 3) als Freiheit von der 
Parteidisposition „in der Rolle des Angegriffnen“ unterscheidet; denn die letztere bedeutet
	        
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