Full text: Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts ([Hauptbd.])

Aufklärungspflicht. Kein Kreuzverhör. Untersuchung von Amtswegen. 349 
mittel sich auch von Amtswegen, gegen oder ohne Willens 
äufserung der Parteien zu bedienen. Sie besteht zweifellos in dem 
Institut des richterlichen Eides, den das Gericht der einen oder 
andern Partei über eine streitige Thatsache auferlegen kann, falls 
aus den übrigen Beweismitteln sich eine volle Überzeugung nicht 
gewinnen läfst (§ 437, — unten § 85, vgl. o. S. 346). Sie besteht 
aber angesichts der unbefangen verstandenen Fassung des Gesetzes 
auch in dem Recht, Augenscheinseinnahmen, also über 
haupt unmittelbar gerichtliche Sinneswahrnehmungen(oben S. 256) 
aus eigner Initiative eintreten zu lassen (§ 135), speziell auch die 
Vorlegung von vermittelnden Augenscheinsobjekten — Stamm 
bäumen, Plänen, Rissen und sonstigen Zeichnungen — anzuordnen 
(§ 133)'. Allerdings wird von mancher Seite2 diese offizielle 
Initiative zu richterlichen Sinneswahrnehmungen nur als eine 
unterstützende Mafsregel für diejenigen Fälle aufgefasst, wo dem 
Gericht Beweis schon geführt oder wegen der übereinstimmenden 
Parteiverhandlungen überflüssig ist und das Gericht lediglich zur 
besseren Verdeutlichung sich selbst ein Bild, z. B. von den um 
strittenen Parzellen und ihren Grenzen, zu machen wünscht (Augen 
schein lediglich „pro informatione“). Aber diese einschränkende 
Auslegung ist nur die Nachwirkung der früheren Vorstellung von 
der prinzipiellen Ausschliefslichkeit des Verhandlungsprinzips; 
bei rechter Erkenntnis von dessen Bedeutung findet sie weder im 
Gesetz noch in der Natur der Sache eine Stütze; denn die an 
scheinend inkonsequente Ausnahme erklärt sich ganz natürlich aus 
dem Bedürfnis, dem Gericht gerade in der Benutzung der besten, 
weil unmittelbarsten Beweisform (vgl. oben S. 258) freie 
Hand zu lassen 3. 
Infolgedessen hat das Gericht volle Freiheit, auch im Falle der Un 
bewiesenheit bestrittner Thatsachen darüber Augenschein etc. anzuordnen, — 
besonders um dadurch weniger gute Beweismittel, — die Vernehmung zahl 
reicher und, wie zu vermuten ist, widersprechender Zeugen und vor allem die 
Abnahme von Parteieiden überflüssig zu machen (z. B. Schadensersatzklage 
aus Sachbeschädigung durch ein scheu gewordnes Droschkenpferd, — Be 
hauptung des Beklagten, das Pferd sei zu alt, um von selbst scheu zu werden, 
Kläger habe es erst gereizt und künstlich scheu gemacht, — Benennung vieler 
(in solchen Fällen erfahrungsgemäss ungenau wahrnehmender) Zeugen, 
Anordnung der Besichtigung des Pferdes; — Klage des Buchhändlers 
auf Bezahlung von Büchern, Behauptung des Beklagten, sie seien ohne Be 
stellung zur Ansicht gesandt und ständen zur Verfügung 
Eideszu 
schiebung des Klägers an den Beklagten, dafs er die Bücher aufgeschnitten 
und benutzt, — Anordnung der Vorlegung der Bücher, die hier 
selbstverständlich nicht Urkunden, sondern (wie die des § 133) Augenscheins 
objekte sind). 
’ Ausnahmsw. offizielle Beiziehung von Auskunftspersonen § 404, 2. 
2 So ausgespr. im hannov. E. § 140. 141 (württ. P.O. a. 204). — Jetzt noch Planck 
II, 106. 270. 
3 So jetzt fast alle Kommentare, bes. Gaupp § 135 II; Schneider 140 ff. (gute 
Beispiele); Stein, pr. W. 95; Richard Schmidt a. a. 0. Bes. auffallend bestätigt wird 
die verschiedne gesetzliche Behandlung der Urkundenbeiziehung und der Beiziehung von 
Augenscheinsobjekten in § 133; erstere nur bei Bezugnahme der Partei (oben II), letztere 
ex officio ohne weiteres.
	        
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