348 III. Prozefshandlungen. § 72. Beschaffung des Thatsachenstoffs.
ein Recht, das nur dadurch mangelhaft wirkt, dass ein Zwangs
mittel zur Realisierung solcher Anordnung nicht oder nur aus
nahmsweise (in Ehesachen § 579, 3)’ zur Verfügung gestellt ist.
Nach der Fassung des Gesetzes („hat hinzuwirken etc.“) und nach der
Natur der Prozefsbetriebsthätigkeit des Gerichts überhaupt, die — wo sie be
rechtigt ist, — auch stets eine Amtspflicht des Gerichts darstellt (s. oben S. 268),
besteht kein Zweifel, dafs das Gericht durch Nichtergänzung von Lücken,
Unterlassung von Fragen nach verfügbaren Beweismitteln, eine Verletzung
seiner Pflichten und der Vorschriften des Verfahrens begeht, die zur Auf
hebung der auf die unvollständige Verhandlung erlassnen Entscheidung,
insbes. zur Revision gegen das Urteil führt. Die konsequente Betonung
dieses Rechtssatzes ist einer der „Glanzpunkte der Rechtsprechung“ des R.G.
(Schneider 109) (R.G. 6, 358. 7, 368. 9, 419. 10, 40. 169. 175. 405. 12, 141,
402 etc. — neuestens R.G. 36, 349. 37, 212).
Kommt es nur auf Erklärungen der Partei auf vorangegangne Be
hauptungen, Eideszuschiebungen u. s. w. des Gegners an, so greift an sich
die Fragpflicht nicht ein. Auch schreibt C.P.O. keine allgemeine Pflicht zur
Aufforderung zu Erklärungen vor. Eine solche ist deshalb nur da be
gründet, wo sie das Gesetz speziell anordnet. (§ 420. 468. — Aufforderungs
pflicht des Gegners: § 192. 221, 2.)
In der gleichen Richtung arbeitet das Recht und die Pflicht des Gerichts
nach seinem Ermessen, — d. h. je nachdem es den Stoff für erschöpft hält
oder nicht, — die Verhandlung zu schliefsen oder fortdauern zu lassen, event.
eine Sitzung zur Fortsetzung der Verhandlung zu bestimmen (§ 127, 3. 4),
sowie auch das wichtige Recht nach Schlufs der Verhandlung und An
beraumung eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung (besonders des
Endurteils) die Wiedereröffnung der Verhandlung zu verfügen (§ 142).
Von gleich entscheidender Bedeutung für die Ausbeutung des
Materials wird der Betrieb der Stoffsammlung durch das Gericht
bei der Erhebung der Beweise. Die Vernehmung der Auskunfts
personen ist nicht in erster Linie den Parteien bezw. ihren An
wälten überlassen, so dafs sie im Wege einer abwechselnden Frag
stellung (des traditionell, aber nicht gut sog. Kreuzverhörs) diese
Beweismittel und zwar jede die von ihnen benannten Zeugen und
Sachverständigen vorführen. Vielmehr ist für die möglichst ge
schickte, gründliche und allseitige Benutzung der Aussagen das
Gericht, speziell der Vorsitzende verantwortlich, und es ist diese
Anerkennung des Untersuchungsprinzips ebenso durch die deutschen
Überlieferungen gerechtfertigt, wie an sich billigenswert, weil die
gerichtliche Befragung einerseits auf die Zeugen und Sach
verständigen autoritärer und eindringlicher, andererseits mit Ruck
sicht auf ihre persönliche Behelligung am schonendsten und vor
urteilsfreisten wirkt. Nur ausnahmsweise und unter Vermittlung
des Gerichts können die Parteien den Auskunftspersonen Fragen
vorlegen (§ 362, 367)
2. Eine direkte Durchbrechung des Verhandlungsprinzips liegt
in der Anerkennung der Befugnis des Gerichts, gewisser Beweis
1 Hier kann auch, falls die Parteien am Erscheinen vor dem Prozefsgericht verhindert
oder von letzterem weit entfernt sind, die Vernehmung durch ersuchten oder beauftragten
Richter angeordnet werden.