Full text: Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts ([Hauptbd.])

342 III. Prozefshandlungen. § 72. Beschaffung des Thatsachenstoffs. 
trennen. Die Zweckbestimmung des Civilprozesses für den Pri 
vatrechtsschutz an sich gestattet auf die Anerkennung der Ver 
handlungsmaxime gar keinen Schluls. 
II. (Bedeutung und Anwendungsgebiet des Ver 
handlungsprinzips.) Das Interesse der wahrheitsgemälsen 
und schleunigen Thatbestandsaufklärung führt bei dem regelmälsig 
gegebenen Verhältnis der Prozefsbeteiligten und hinsichtlich des 
gröfsten Teils des Thatsachenstoffs zur Anerkennung der Partei 
verantwortlichkeit. Die Annahme, dafs ein amtliches Ein 
greifen des Richters hinter und neben den Vorträgen und Beweis 
anträgen der Parteien die erschöpfende Berücksichtigung alles 
verfügbaren Materials am besten gewährleisten müsse, hat sich, 
obwohl für den Laien sehr naheliegend, angesichts der Er 
fahrungen, vor allem denen des altpreufsischen Civilprozesses, als 
eine Täuschung und falsche Berechnung erwiesen. Anscheinend 
bewahrt zwar ein derartiges Untersuchungssystem die Vorzüge der 
Parteiverhandlung und ergänzt und berichtigt nur deren Mängel, 
in Wahrheit aber führt es in der praktischen Anwendung zu einer 
Verkümmerung der Parteiverhandlung. Angesichts der nach 
helfenden Hand des Richters erlahmt der Eifer der Partei im 
Betrieb ihrer Darlegungen; das Eingreifen des Richters in Wider 
spruch mit den Absichten der Partei hemmt deren freie Bewegung 
in der Verfolgung ihrer Pläne da, wo sie mit Eifer die Stoff 
beschaffung betreibt. Noch verschärft wird dieser Hauptnachteil 
durch die weiteren Mängel, dafs der naturgemäss wenig orientierte 
Richter durch planlose, überflüssige Beweiserhebungen, Unter 
suchung in verfehlter Richtung das Verfahren verzögern und durch 
Einmischung in Privatverhältnisse, notgedrungenes Aushorchen 
und Bevormunden den Parteien lästig fallen mufs. Im Gegensatz 
hierzu wird also die Begründung ausschliefslicher Verantwortlich 
keit der Parteien unentbehrlich, um dieselben zur Anspannung 
ihrer Thätigkeit und Ausnutzung ihrer Angriffs- und Verteidigungs 
mittel anzuspornen und so die Vollständigkeit des von beiden 
Seiten gegebenen Thatbestandsbilds zu verbürgen: die für die 
Wahrheit segensreichen Wirkungen der Verhand 
lungsform werden erst durch Aufstellung des Ver 
handlungsprinzips recht gesichert und indirekt er 
zwungen. Nur hat freilich das Verhandlungsprinzip in diesem 
Sinne, als eine technische Zweckmäfsigkeitsmassregel des Gesetz 
gebers zur Entfesselung der interessierten Parteithätigkeit, das 
Bewufstsein der entgegenstehenden Interessen auf 
seiten einer jeden Partei zur Voraussetzung und mufs deshalb 
in denjenigen Teilen des Verfahrens sofort zweck- und erfolglos 
und mithin gesetzgeberisch fehlerhaft werden, wo entweder 
objektiv der Gegensatz der Parteiinteressen oder subjek 
tiv das Bewufstsein und die Kenntnis des wohlverstandenen 
Interesses nicht vorausgesetzt werden kann.
	        
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