Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgerichte.
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die von den Parteien unmittelbar in Bewegung gesetzt und aus
eigener Entschliefsung unter gesetzlichen Vorbedingungen und ohne
Einmischung oder Anweisung der entscheidenden Gerichte thätig
werden (französisches System, oben S. 79, verkörpert im Amt des
huissier). In der Entwicklung des modernen Prozefsrechts über
wog das Interesse an der „Reinhaltung des richterlichen Amts“ zu
Günsten der zweiten Gestaltung, einer gesonderten Organisation
der-Entscheidungs- und Vollstreckungsorgane, die es ermöglichte.
die Kräfte der Gerichte auf die wichtigste, moralisch und intellektuell
schwierigste Aufgabe der thatsächlichen Prüfung und Rechts
anwendung zu konzentrieren. Diese Entwicklung führte also zur
Übertragung des Amts des „Gerichtsvollziehers“ als einer
mit selbständiger amtlicher Verantwortlichkeit handelnden Voll
streckungsbehörde nach Deutschland. Gleichwohl sah sich das
Reichsprozefsrecht nicht in der Lage, dem Gerichtsvollzieher die
gesamte Vollstreckungsthätigkeit allein zu überlassen, einfach des
wegen nicht, weil auch innerhalb dieser Vollstreckungsfunktion
unter Umständen verwickelte Operationen und Beurteilungen recht
licher Verhältnisse vorzunehmen waren, und weil die subalterne
Beamtenklasse, aus der die Landesregierungen gezwungen waren,
die neuen Vollstreckungsorgane zu bilden,
die abhängigen
Gerichtsdiener der alten Gerichtsverfassung, — die gewissenhafte, un
bestechliche und geschickte Erfüllung eines solchen Pflichtenkreises
nicht oder wenigstens zunächst nicht und nicht im ganzen Gebiete
des Reichs erwarten liefs. Infolgedessen wurden — unter Kombi
nation des gemeinrechtlichen mit dem französischen System die
Gerichte auch jetzt noch neben den Gerichtsvollziehern zur
Vollstreckung herangezogen, zu ihr allerdings nach anderen
Grundsätzen, als nach den für die Entscheidungsthätigkeit der
Gerichte geltenden.
Einzelne Territorien hatten allerdings bereits die Einführung eines aus
schlielslich auf die Gerichtsvollzieher gebauten Vollstreckungssystems riskiert,
so abgesehen von den ganz französischen Rheinlanden (seit 1806) auch
Bayern in P.O. v. 1869, — angeblich mit gutem Erfolg. Die Vermittlung ging
auch hier aus von der Hannöv. P.O. 1850, die zwar den „Gerichtsvoigten“
auch die gesamte Vollstreckung (auch in Immobilien, Forderungen ausge
nommen Strafandrohungen) übertrug (§ 531), aber in andern Fällen eine
Mitwirkung und Überwachung des Gerichts eröffnete (§ 549. 555 u. ö.) Der
preuls. Entw. entzog ihnen sodann die Immobiliarvollstreckung, der nord
deutsche auch die Vollstreckung in Forderungen (vgl. Mot. zu E. G.V.G.
176 ff.; Hahn I, 157 ff.)
Die Organisation der Vollstreckungsorgane ist demnach
folgende:
a) „Die Zwangsvollstreckung erfolgt, soweit sie nicht den
Gerichten zugewiesen ist, durch Gerichtsvollzieher“ (§ 674 C.P.O.).
„Die den Gerichten zugewiesene Anordnung von Vollstreckungs
handlungen — gehört zur Zuständigkeit der Amtsgerichte als
Vollstreckungsgerichte“ (§ 684). Insoweit sind also die als Einzel
beamten funktionierenden Gerichtsvollzieher und die Amtsrichter,
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