Full text: Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts ([Hauptbd.])

162. II. Civilgerichtsverfassung. § 36. Die Vollstreckungsorgane. 
Nach der ursprünglichen Fassung G.V.G. bedeutete die Herbeiführung 
einer solchen Plenarentscheidung eine „Verweisung“ an die vereinigten Senate, 
so dafs die letzteren in diesem Fall das eigentlich entscheidende Organ 
wurden, vor dem auch das dem Urteil zu Grunde zu legende Verfahren 
(eventuell die neue mündliche Verhandlung) geführt wurde. Novelle v. 1886 
jedoch drückte die Plenarentscheidung in die Rolle eines Rechtsgutachtens 
herab, das zwar „in der zu entscheidenden Sache bindend“ ist, aber „in allen 
erfolgt (§ 137, 3; — nur 
Fällen ohne vorgängige mündliche Verhandlung 
vor Entscheidung der vereinigten Strafsenate, des Plenums, und in Ehe- und 
Entmündigungssachen der Civilsenate Gehör des Oberreichsanwalts mit schrift 
lichen Anträgen). „Soweit die Entscheidung der Sache eine vorgängige mündliche 
Verhandlung erfordert, erfolgt dieselbe durch den erkennenden Senat 
auf Grund einer erneuten mündlichen Verhandlung, zu welcher die Prozels 
beteiligten von Amtswegen unter Mitteilung der ergangnen Entscheidung der 
Rechtsfrage zu laden sind“ (§ 137, 5); der einzelne Senat ist und 
bleibt also auch in diesen Fällen formell das entscheidende 
Organ. 
Dagegen kann das drittinstanzliche Gericht eine Änderung erfahren 
„durch die Gesetzgebung eines Bundesstaats, in welchem mehrere Oberlandes 
gerichte errichtet werden“. Ein solcher kann „die Verhandlung und Ent 
scheidung der zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden Revisionen 
und Beschwerden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einem obersten (dritt 
instanzlichen) Landes gerichte“ zuweisen (E.G. G.V.G. § 8), doch ist diese 
Autorisation unanwendbar auf denjenigen Bundesstaat, in dessen Gebiet das 
Reichsgericht seinen Sitz hat'. (R.Ges. über den Sitz des Reichsgerichts vom 
11. April 1877.) Die Klausel ist zugeschnitten auf Bayern und auch von ihm 
allein benutzt; in Errichtung des obersten L.G. zu München 2 (Ges. vom 23. Febr. 
1879 a. 42). Da aber von der Vorschrift die Civilsachen ausgenommen sind, 
die zur Zuständigkeit des Reichsoberhandelsgerichts gehören oder durch be 
sondre Reichsgesetze dem Reichsgericht zugewiesen sind (§ 8, 2)3, so findet 
auch für baverische Rechtssachen wenigstens eine Teilung der dritt 
instanzlichen Entscheidungsthätigkeit zwischen Reichsgericht und 
oberstem Landesgericht statt. 
§ 36. Die Vollstreckungsorgane. 
Die Funktion der Vollstreckung, d. h. der zwangsweisen Ver 
wirklichung äufserer Zustände, insbesondere der Verwirklichung 
privatrechtlicher Ansprüche selbst, steht an sich nicht in untrenn 
barem Zusammenhang mit der der Entscheidung. Sie verkörpert 
eine selbständige Form des Rechtsschutzes wie diese und bewegt 
sich in äufserlich getrenntem Verfahren, oft bei mechanischem 
Zwang (Pfändung, Verhaftung) an andern Ortlichkeiten. Deshalb 
kann ein Gesetzgeber an sich die Vollstreckungsgewalt zwar den 
entscheidenden Organen, Gerichten, überlassen, die dann mit Hilfe 
von Anweisungen abhängiger Unterbeamten (Gerichtsdiener etc.) 
oder mittels Ersuchens anderer Gerichte den Zwang verwirklichen 
(Gemeinrechtliches System, oben S. 76); ebensowohl aber kann er 
auch für die Vollstreckungsthätigkeit eigene Beamten einsetzen, 
1 Für Sachsen, den jetzigen Sitz des R.G., zur Zeit gegenstandslos, da es nur ein 
Oberlandesgericht besitzt 
2 Es funktioniert in Senaten in Besetzung von 7 Mitgl. einschl. des Vors. a. 48. 
3 Zu dieser Ausnahme kommen noch hinzu die Ansprüche aus dem Patentgesetz 
und dem Gebrauchsmustergesetz. R.Ges. v. 7. April 1891 § 38 u. R.Ges. v. 1. Juni 1891 § 12.
	        
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