Die volkswirtschaftliche u. soziale Bedeutung d. Vererbungssitten u. die Erbrechts-Reform. 545
Endlich findet das Bestreben, den Grundbesitz zu vererben, in der
Marsch wie auf der Geest eine Grenze in dem Wunsche, alle Kinder einander
materiell gleichzustellen. Die alten Ungleichheiten, welche in den Gebieten
der Grundherrschaft dereinst die Regel bildeten, haben sich nur dort in
einiger Ausdehnung erhalten, wo die alte Verfassung erst seit kurzem be
seitigt ist und die Vorstellung nachwirkt, daß den Miterben ein Anteil am
Wert des Grundbesitzes selbst nicht zusteht — so in Lauenburg. Ist es nicht
möglich, den Übernehmer leistungsfähig zu stellen, ohne seine Miterben
leer ausgehen zu lassen, weil der Hof bereits stark verschuldet ist, so
schreitet man zum Verkauf. Aber man entschließt sich leichter dazu in der
Marsch als auf der Geest; hier werden unter Umständen große Opfer ge
bracht, um die Entwurzelung der Familie zu verhindern.
Greift die Verschuldung weit um sich etwa infolge von Spekulations
geschäften, einer Preiskrisis, so wird es vielen Besitzer tatsächlich un
möglich, ihr Landgut auf die Nachkommen zu übertragen; es entsteht
dann leicht der Anschein einer kapitalistischen Besitzauffassung, während
vielleicht die folgende Besitzergeneration die Schulden abstößt und nun
wieder die Neigung allgemein hervortritt, den Boden als Stammsitz zu er
halten. Solche Vorgänge sind gegenwärtig in Ditmarschen zu beobachten.
Die Tatsache, daß trotz der hoch entwickelten Erwerbswirtschaft die
bewohnten Marschbezirke im großen und ganzen, und in besonders aus
geprägter Weise die Elbmarsch an einer Vererbungsweise festgehalten haben,
welche sich grundsätzlich von der Anerbensitte nicht unterscheidet, begründet
die Erwartung, daß die fortschreitende Geldwirtschaft*) die letztere nicht
zum Erliegen bringen wird.
Ein grundsätzlicher Gegensatz in der Besitzauffassung und Vererbungs
weise hat sich auf den einst adligen Gütern herausgebildet.2)
Während die kleineren meist in die Hände von Unternehmern gekommen
sind, denen der Boden lediglich Kapital, Erwerbsmittel ist, verblieben die
großen überwiegend altansässigen Adelsfamilien. Was sie mit dem Lande
eng verbindet, ist im Grunde dieselbe Kraft wie bei den Bauern; die
geschichtliche Tradition. Fehlt beim Großgrundbesitz der Kitt der familien
haften Arbeitsverfassung, so wirkt das Motiv, das Ansehen und die gesell
schaftliche Stellung mit dem Grundbesitz zu behaupten, um so mächtiger.
In beträchtlicher Ausdehnung haben sie Fideikommisse begründet, nament
lich auch Geldfideikommisse.
’) Wurde der Altsitzer dereinst am Tische mitverpflegt, so haben heute die größeren
Geesthöfe besondere Abschiedskaten. Dieselbe Veränderung hat sich früher auch in der
Marsch vollzogen, seit den 50er Jahren des 19. Jahrh. setzte sie sich dahin fort, daß die
Katen verlassen, die Altsitzer zu städtischen Rentnern wurden (S. 484, 505). Auf der
Geest tritt neuerdings die Lebensversicherung teilweise an die Stelle des Altenteils (S. 395).
Mit dem Verschwinden des gewerblichen Hausfleißes ist die naturale Ausstattung der Kinder
zurückgetreten. Sie ist nur noch in einzelnen Bezirken, so in Lauenburg üblich. Vgl
Anl. V B. Nr. 6.
2) Vgl. oben S. 357 ff.
Vererbung des ländlichen Grundbesitzes. VII. Schleswig-Holstein,