VII. Schleswig-Holstein.
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ziehen.’) Der Hofübernehmer ist aber auch in diesen Bezirken verpflichtet,
wie die Eltern so die etwa unversorgten Geschwister auf dem Hofe zu
unterhalten, und er gilt für moralisch gebunden, in Notfällen auch den
anderen auf diese Weise zu helfen.
Mit der Herrschaft über den Geesthof erhält der neue Besitzer die
Verfügung über sein volles Erbteil. In der Marsch wird ihm nur etwa ein
Teil davon in Form eines Abstriches vom Kaufpreise oder einer sogenannten
Mitgift überwiesen. Den Rest hat er zu verzinsen.
Die Verschiedenheit der Vererbungsformen ist in der ganzen sozidlen
und wirtschaftlichen Verfassung begründet, die wiederum in den natur
lichen Produktionsbedingungen wurzelt.
Hier wie dort ist das Ausmaß der landwirtschaftlichen Betriebe, von
den großen Gütern im Kolonialgebiete abgesehen, durch die Arbeits
gemeinschaft der Familie gegeben, der regelmäßig mehr oder weniger Arbeits
kräfte aus den Kätner- und Instenfamilien angegliedert sind.
Aber auf die gleiche Anzahl von Arbeitskräften entfallen in der Marsch
sehr viel höhere Erträge dank der größeren natürlichen Fruchtbarkeit des
Bodens, den man mit bedeutendem Kapitalaufwand dem Meere abgewonnen
hat und nutzbar macht. Deiche, Entwässerungsanlagen, Wege machen große
Ausgaben; wo Ackerbau betrieben wird, fordert der schwere Boden starke
Arbeitstiere, Maschinen, Geräte und zur Aufnahme der großen Ernteerträge
mächtige Gebäude
Deshalb ist die Marschwirtschaft mehr und mehr in die Hände kapital
kräftiger Hofbesitzer übergegangen. Mit Ausnahme weniger Gegenden wie
der Wilstermarsch bestimmen sie den Typus des Marschbauern. Sie sind in
erster Linie Unternehmer, erst in zweiter gemeine Mitarbeiter.
Die Größe der Betriebe, die geringe Mannigfaltigkeit der Produktion
und das Schwanken der Erträge machen die Wirtschaft vom Markte stark
abhängig, dessen Konjunkturen die Fruchtfolgen, die Verwendung des Bodens
zu Acker oder Weide leicht und geschickt angepaßt werden mussen.
Die hohen Ausgaben in der Zeit des Jungvieheinkaufs, der rasch zu
erledigenden Bestellungs- und Erntearbeiten, die bedeutenden Einnahmen
aus dem Getreide- und Viehverkauf zum Schluß des Jahres bedingen einen
starken Geldverkehr. Den Geldausgleich vermitteln zahlreiche Banken 2) und
Bankfilialen. Bei ihnen unterhalten die Hofbesitzer wie die Händler Konto
korrentguthaben, über die sie durch Checks verfügen.
Zieht sich der Marschbauer im Alter zurück, so geschieht es nicht so
wohl, weil er seinen Beruf nicht mehr ausfüllen könnte, als weil er dem
Nachfolger Platz machen will. Sein Einkommen ist dann groß genug, um
ihm die Existenz eines Geldrentners zu gestatten. Verbleibt er bei knapperen
*) Vgl. oben S. 185.
2) Schleswig-holsteinische Bank in Tönning und westholsteinische Bank in Heide mit
ihren Filialen von Blankenese bis Tondern.