Die heutige Vererbung des bäuerl. Grundbesitzes. Die Marsch usw. Die Insel Fehmarn. 445
Bewirtschaftung des Bodens, sondern das Gewerbe des Viehmästens, das rein
okkupatorischer Natur ist. Für den Erfolg des Unternehmens ist die Haupt
sache der Ankauf des Magerviehs und der Verkauf des Fettviehs — der
Profit hängt von der Preisdifferenz ab. Deshalb ist der Bauer zum Händler
geworden. Zum Viehhandel gehört große Sachkunde und Gewandtheit. Will
der Gräser gute Geschäfte machen, so muß er „die Gelegenheit zu günstigem
Einkauf des Magerviehs, zum Verkauf des Fettviehs in geschickter Weise
erfassen, in der Beurteilung von Vieh und Pferden einen sicheren und
raschen Blick besitzen, mit Leuten aller Art auskommen und verkehren
können. Es ist gar nichts seltenes, daß der Marschbauer selbst mif seinem
Fettvieh nach den Haupthandelsstädten des Reiches, nach Hamburg, Berlin,
Köln usw. reist“, um hier die höchsten Preise zu erzielen und den Zwischen
händler auszuschalten. „Die Pferde werden zum großen Teil aus Dänemark
geholt und nach kurzer Weideperiode in Hamburg wieder verkauft. Als
noch der Export nach England blühte, hatten sich die Marschbauern sogar
eigene Schiffe auf Aktien beschafft. In seiner kaufmännischen Geschicklich
keit wird der Marschbauer selbst von den Juden nicht übertroffen. Tatsäch
lich vermögen diese denn auch nirgendwo in den ländlichen Distrikten des
Westens festen Fuß zu fassen“ *) (PETERSEN).
Viele überlassen indessen den Vieh-Ein- und -Verkauf Kommissionären.
Ein Mann in Katharinenherd besorgt, wie man mir sagte, für halb Eiderstedt
diesen Handel. Dann hat der Hofbesitzer so gut wie gar nichts mehr zu
tun, und es ist nur noch ein kleiner Schritt, daß er sich auch des — recht be
deutenden — kaufmännischen Risikos entschlägt, das mit seinem Unternehmen
verknüpft ist, und zum bloßen Rentenempfänger wird, indem er sein Land
an einen Gräser verpachtet. Die Grasfennen eignen sich zur Verpachtung
viel mehr als Landstellen mit Gebäuden und Ackerbaubetrieb, weil es kaum
irgend welcher Kontroll-Vorschriften für den Pächter bedarf. Die Pacht
läuft wie in England meist nur auf ein Jahr; dies entspricht dem Interesse
beider Parteien und dem häufigen Wechsel der Konjunkturen.
Ob man nun aber das Land selbst bewirtschaftet oder verpachtet, die
Weidemastwirtschaft, welche den Ackerbau, die Aufzucht und den Molkerei
betrieb verdrängt, verändert durchaus die Natur des Bodenbesitzes. Der
Boden ist nicht mehr in erster Linie Arbeits- und Wohnstätte für den
Besitzer und seine Familie, sondern Mittel zur Erzielung von Kapitalgewinnen.
Schon seit Jahrhunderten hat die Notwendigkeit und Leichtigkeit der An
passung des Wirtschaftsbetriebes an die Marktverhältnisse und die rege
Handelstätigkeit in dem Marschbauer kaufmännisch-spekulative Fähigkeiten
erweckt. Die Größe und Ergiebigkeit der Besitzungen befreite ihn von dem
Zwange, sich an den gröberen Arbeiten zu beteiligen. Er gewöhnte sich,
den Hof als ein Wertobjekt zu betrachten, bestimmt, eine hohe Rente zu
’) Am 2. Dezember 1895 waren in den Kreisen Tondern, Husum, Eiderstedt, auch
Norder- und Süderditmarschen nur 0,0 bis 0,1% der Bevölkerung anderen als christlichen
Bekenntnisses, der Durchschnitt für die Provinz war 0.6%