Full text: ¬Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preussen (7)

VII. Schleswig-Holstein. 
384 
Aber die Übereignung des Hofes an einen bedeutet nicht, daß die 
Geschwister unmittelbar mit dem Eintritt der Auseinandersetzung vom väter 
lichen Hofe ausgeschlossen sind. Vielfach wird von den bäuerlichen Be 
richten betont, die abgefundenen Miterben hätten ein Zufluchtsrecht oder 
Wohnrecht“ bis zur Konfirmation, bis zu ihrer Verheiratung, bis sie eine 
eigene Existenz gegründet, bis zu ihrer Großjährigkeit, bis zum 18. bezw. 
22. Jahr usw. Die Abfindungssummen werden durch die Verpflichtung er 
gänzt, „allen Geschwistern, solange sie unverheiratet sind, in Krankheits 
und Schwachheitsfällen sowie in Fällen der Not freie Zuflucht zum Hofe 
nebst Pflege zu gewähren“ (A.-G. Apenrade). 
Im allgemeinen existieren jedoch über die bezeichneten Grenzen hinaus 
d. h. für die erwachsenen und gesunden Miterben keine eigentlichen Zufluchts 
rechte. Durch die Abfindung ist jede rechtliche Beziehung zum Hofe gelöst. 
Dennoch bleibt tatsächlich der Hof häufig für sie auch nach Feststellung der 
Abfindungen noch der Mittelpunkt der Familie. „Doch ist dieser Hof noch 
lange der Mittelpunkt, wo die Geschwister sich treffen“ (Bericht aus Kreis 
Segeberg). „Nach alter Gewohnheit bietet die Heimat auch während der 
Festzeiten und Ferien den Beamten Aufenthalt“ (Bericht aus Kreis Flensburg). 
„Nach der Konfirmation besteht kein Zufluchtsrecht mehr für die Geschwister, 
sie werden jedoch auch nicht abgewiesen, wenn sie aus anderen Stellen usw. 
zurückkehren“ (Kreis Pinneberg). „Man betrachtet den Hof als Zufluchtsort, 
hat jedoch kein besonderes Recht dazu“ (Kreis Rendsburg). „Ein Zufluchts 
recht besteht nicht, es kommt aber ganz von selbst, wenn Liebe unter den 
Geschwistern herrscht“ (Kreis Kiel 
Allgemein werden dagegen kränkliche, verkrüppelte und geistes 
schwache Geschwister für das ganze Leben auf der Stelle untergebracht. 
Die diesbezügliche Frage wurde nahezu ausnahmslos von sämtlichen Bericht 
erstattern bejaht. Solche Geschwister werden „an den Hof vermacht“. Wenn 
das Erbteil des Betreffenden ausreichend ist, um ihm auswärts eine passende 
Versorgung in einer Anstalt zu schaffen, dann pflegt dies heute öfter zu 
geschehen als früher, wo entsprechende Anstalten fehlten. In der Regel 
aber ist die Erbabfindung aus einem mittleren Bauernhof dazu nicht groß 
genug. Es gilt deshalb auch heute überall durchaus als Rechtsanspruch 
jener Unglücklichen, auf dem väterlichen Hofe selbst eine dauernde Heimat 
zu finden, wogegen sie sich dort noch nach Kräften nützlich machen. 
4. Die Person des Gutsübernehmers. 
Die Auswahl des Hofannehmers unter den mehreren Erben ist im 
ganzen Bezirk durch Recht oder Sitte fest geregelt. Im Schleswiger Anerben 
rechtsgebiet ist gesetzesrechtlich der älteste Sohn, in den Holsteinischen 
Anerbenrechtsdistrikten gewohnheitsrechtlich, zum Teil der älteste, zum Teil 
der jüngste Anerbe. Nach den übereinstimmenden Äußerungen sämtlicher 
Berichterstatter ist auch bei Gebrauch der Verfügungsfreiheit seitens des 
Vorbesitzers eine Abweichung von der Rechtsregel fast nie zu beobachten. 
(Amtsgerichte Wandsbeck, Bargteheide, Reinfeld, Segeberg, Neustadt, Heiligen-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer