Die heutige Vererbung des bäuerl. Grundbesitzes. Der Mittelrücken und der Osten, 379
aller landwirtschaftlichen Produkte klagen auch die altangesessenen Bauern
familien häufig, nicht mehr bestehen zu können. Es kommt vielfach vor.
daß wohlhabende Besitzer ihre Hufe verkaufen und sich zur Ruhe setzen.
weil sie auf diese Weise sicherer existieren zu können glauben. Die Käufer
sind meistens Leute mit nicht genügenden Mitteln, welche viele Hypotheken
aufnehmen müssen, und wenn die früheren wohlhabenden Besitzer schwer
ihre Rechnung fanden, so finden diese neuen Besitzer sie noch viel schwerer.
und müssen auch bald wieder verkaufen. — Die Verhältnisse verschlechtern
sich noch immer mehr“ (A.-G. Reinfeld, Bericht vom 30. 8. 1901)
Etwas anders betrachtet einer der berichtenden Amtsvorsteher die
Sachlage: „Wenn Leute mit Geld aus den Städten sich hier ankaufen, so
mischt sich dadurch das Blut, und wenn es auch poltrig mit diesen in der
Wirtschaft geht, so verdient doch ein jeder von ihnen ... Die Welt wird immer
klüger und muß es auch werden ... Das Kapital wird im Handel und in
der Industrie zusammengetragen und kommt wieder aufs Land dadurch, daß
Landgüter angekauft und alte Schulden getilgt werden, wie das hier schon
jetzt bemerkbar. Ein reicher Kaufmann kauft für seinen Sohn ein Gut
kehrt die alten Hypotheken aus, bricht überall mit dem alten Schlendrian,
führt andere Wirtschaft ein, baut ein besseres Wohnhaus, baut den Arbeitern
bessere Wohnungen, läßt alle Handwerker in Tätigkeit setzen usw., bohrt
Brunnen und gibt dem Gute ein viel besseres Ansehen, pflegt Bäume und
Sträucher. Alles dies wird nie ein Nachkömmling von einem alten Besitzer
machen lassen. Wenn auch der Besitzer wechselt, das Gut aber bleibt und
schafft den Arbeitern und Handwerkern, die im Ort ansässig bleiben, guten
Verdienst aus den Arbeiten, die gemacht werden müssen.
Derselbe Berichterstatter schildert jedoch die Folgen des eindringenden
neuen Geistes: „Erst denkt der Vater resp. die Eltern: wo bleibe ich? Ich muß
doch soviel haben, daß ich notdürftig leben kann. Die Folge ist zu teuere
Übernahme seitens des Nachfolgers, der sich nicht halten kann und häufiger
als früher in Zwangsverkauf gerät, wobei dann meist alle Erben überhaupt
nichts erhalten, weil das Gut unter dem bei der Übernahme zu Grunde ge
legten Preise weggeht und ihre an letzter Stelle stehenden Forderungen
natürlich ausfallen. Die meisten Besitzer des Amtsbezirkes sind mit mehr
als 60% des reellen Wertes ihrer Besitzung verschuldet. Die Verschuldung
wird immer größer, Zwangsverkäufe sind an der Tagesordnung. Hierbei
werden die Stellen von nicht genügend kapitalkräftigen Personen mit zu ge
ringen Mitteln übernommen“ usw.
In der Beurteilung der sozialen Wirkungen der kapitalistischen Ent
wicklung im Reinfeldschen stimmt demnach dieser Bericht mit dem des
Amtsgerichts überein.
Die übrigen, wenig zahlreichen Nachrichten über häufigeres Vor
kommen freihändiger Verkäufe betreffen nur einzelne zerstreute Gemeinden
und verdienen als lokale Ausnahmeerscheinungen keine besondere Be
achtung.