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VII. Schleswig-Holstein.
Land nicht mehr vorhanden war. BLöriNes Glosse bestätigt dies: „Es begibt
sich dieser Fall auf dem Lande unter den Bauers-Leuten gar offt, daß nach
der Eltern Tode die Brüdere und Schwestere in der Gemeinschafft, d. i. in
den gemeinen ungetheilten Gütern in dem Sterb-Hause auf eine Kost und
Bier und bey einem Feuer-Herd viel Jahr bey einander bleiben besitzen.
und dieselbe helffen bearbeiten, bis sie offt alte Knechte und Mägde darüber
werden, und doch lieber in den gemeinen Gütern verbleiben, und ihre Frei
heit geniessen, als sich in fremde Dienste begeben wolen. Wenn dann der
älteste Bruder sich in die Gemeinschaft befreyet usw.“*)
Seit dem Ausgange des Mittelalters waren besonders nach schweren
Kriegen und Verwüstungen, wenn die Mittel der Besitzer knapp waren.
Realteilungen und Absplitterungen von Grundstücken auch auf der Geest
und im Osten häufiger vorgekommen.2)
Auf Alsen hatte man den Ausweg ergriffen, daß man den Miterben des
Übernehmers auf Lebenszeit einzelne Parzellen zur Nutzung zuwies, die bei
ihrem Tode an den Hof zurückfielen. Man nannte diese Einrichtung „Minde“,3
Der wachsende Kapitalbesitz des Bauern und der Kredit gaben die
Möglichkeit, die Güter, soweit es betriebstechnische Rücksichten erforderlich
machten, straffer als bisher zusammen zu halten. Die Teilungsverbote und
Genehmigungsvorbehalte der Verwaltung wurden nun erst praktisch durch
führbar, während sie vorher, soweit überhaupt vorhanden, vielfach nur auf
dem Papier bestanden hatten. Anderseits dienten sie nun dazu, ihrerseits
die Sitte der ungeteilten Übernahme der Hufen zu festigen.
3. Die Ausgestaltung der Anerbensitte im einzelnen.
Die Entstehung der Anerbensitte gehört nach dem vorigen dem
„frühkapitalistischen“ Zeitalter an. Sie zielt darauf ab, den Landwirt
zum Unternehmer zu machen, und bedient sich kapitalistischer Verkehrs
formen, um ihn aus den Fesseln des Familienverbandes zu befreien. Aber
die Anwendung solcher Formen ist keineswegs identisch mit der Be
tatigung einer „kapitalistischen“ Gesinnung, einer Lebensanschauung, welche
alle menschlichen Beziehungen zu einem bloßen Rechenexempel, zum
Gegenstande eigensüchtiger Erwägungen macht. Der Geist, der durch
anderthalb Jahrtausende die verwandtschaftlichen Verbände der Bauernschaft
erfullt hatte, starb mit dem Aufkommen des Geld- und Kreditverkehrs
’) Glosse zu Jüt. Lov, I, 19.
’) Vgl- für Angeln, Sundewitt, Alsen: MEIBORG S. 126
) Entschädigung der Miterben „pro consensu, wie das dänische Wort Minde invol
vieren will“, zur Übernahme des Hofes durch einen zu einer außerordentlich niedrigen
Taxe. In einem Fall verschreibt der Übernehmer (1696) einem Bruder 3 Schipp Landes
„so lange er bei ihm auf dem Bondengut diente und bliebe“; der Bruder erhält Lohn. Das
Mindegeben war im 18. Jahrhundert noch allgemein üblich. Aus einem Ber. d. Sonderburger
Amtsverwalters an die Rentekammer v. 25. Aug. 1747 (Act. St.-Arch. Schleswig), vgl. auch
MEIBORG S. 127