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§. 325.
In dem Inhaberpapiere liegt die Erklärung a) jedem Besitzer des
Papiers und b) nur dem Besitzer leisten zu wollen. Der Erklärende knüpft
hiemit die Forderung an den Zustand des Besitzess) des Papiers.?) Die
Urkunde ist nicht blos Beweis=, sondern Dispositivurkunde, ohne sie gelangt
die Forderung gar nicht zur Existenz.*0) Wer dagegen Besitzer der Ur
kunde ist, ist zugleich Gläubiger in dem darin ausgedrückten Forderungs
verhältnis, mag er den Besitz wie immer erworben haben. Da nun der
Aussteller der erste Besitzer der Urkunde ist, so ist er selbst auch der erste
Gläubiger11), nur dass freilich durch die Ausstellung sein Vermögen nicht
vermehrt ist *2), da seine Forderung durch seine genau gleich große Schuld
aufgewogen wird. Die Ausstellung erscheint sonach als ein einseitiges Ge
schäft13); dass sie als ein solches anzusehen ist, ergibt sich auch aus den
nachstehenden Erwägungen und Rechtssätzen:
a) Ein anderer als der ursprüngliche Besitzer kann die Forderung auf
Grund des Inhaberpapiers geltend machen, mag er den Besitz wie immer
erworben haben; es bedarf also zur Erwerbung der Forderung keines Ver
trags. Das Gegentheil geht auch daraus nicht hervor, dass demjenigen,
welcher dem Aussteller das Papier entwendet oder der es gefunden oder
S. 31, 33 f. Vgl. auch Aldler, S.
Obl. R. II S. 99, Gerber §. 160, Be
32 f
seler, Syst. §. 87 Note 18, Siegel
3) Nicht der bloßen Innehabung, wie
S. 111.
Siegel S. 115 und Hasenöhrl S. 46
**) Dass das Inhaberpapier schon in
bis 57 meinen. Umgekehrt fordert Randa
der Hand des Ausstellers ein Vermögens
Besitz §. 11 Note 48 und S. 161, Fragen
stück ist, betonen schon Volkmar und
des Genossenschaftsr. S. 13 ff., Eig,
Löwy, Deutsche W. O. S. X. Vgl.
312 und Note 6, S. 353 Note 41 u. a.
Geller, G. Z. 1873 Nr. 44 Note 23,
zur Übertragung der Forderung Über
Hasenöhrl S. 57—60.
tragung des Eigenthums am Papier, val.
12) Die Forderung ist während seines
unten §. 334 Note 3 a.
Besitzes insofern eine ruhende. Volk
*) Gerber §. 161, Ihering, Dogm.
mar und Löwy S. XV
Jahrb. X S. 444, 446. — Stein
13) So Kuntze, Inh. P. S. 375 und
Nr. 67, 68 will aus dem Inhaber
Wechselrecht S. 276 (Ausstellung des
papiere gar kein Recht entspringen
Papiers ist „Creation“ der Forderung),
lassen, sondern nur eine absolute, jeder
Windscheid §. 304 Note 10, Kirch
mann gegenüber bestehende Pflicht, der
stetter S. 655, Geller Nr. 42; val.
auf der andern Seite nur ein Anspruch
Bekker, Dogm. Jahrb. XII S. 12, 14.
gegenübersteht, und zwar darum, weil
46, 47, Siegel S. 110 und die Citate
die Pflicht bestehe, auch wenn es an
S. 118—128, Unger in d. Wiener
jedem Inhaber fehlt. Ähnlich Geller
Ztschr. I S. 371; über den Unterschied
Nr. 42—44, der aber doch auch hier von
zwischen Kuntze's und Siegel's Theorie
einer Forderung spricht. Vgl. Siegel
vgl. den Letzteren S. 127, 128. Wesent
S. 108 f.
lich übereinstimmend mit dem Text:
10) Randa G. H. 1867 Nr. 50. Weil
Hasenöhrl S. 43 f., vgl. S. 36 ff. —
das Papier „Träger der Forderung“ ist
Dagegen wollen Bekker, Jahrb. d. gem.
(Unger S. 110, Randa, Eig. S. 312
R. I S. 266 f. und Volkmar und
Note 6), reden die Schriftsteller von
Löwy S. XII das Papier selbst für
einer in dem Inhaberpapier „verkör
den eigentlichen Gläubiger ansehen (Per
perten Obligation", einem „verkörperten
sonificationstheorie; vgl. auch Stein
Willen des Schuldners", einem „ver
Nr. 72 Note 2); gegen diese Gleich
körperten Rechtsverhältnis", „verkörper
stellung „der Creatur mit dem Creator“
ten Versprechen“.
Vgl. Savigny,
Kuntze, Wechselr. S. 290.