Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

836 Zur Entstehung der österreichischen Strafproceßordnung von 1873. 
Die Berathung eines solchen Antrages wird dann Sache der 
leeren Form, aber diese massenhafte Vorbringung von rein formalen 
Anträgen, von rein formalen Berathungsgegenständen schwellt dann 
die Register der Gerichte, nimmt die Zeit der berathenden Collegien 
in Anspruch und entzieht sie denjenigen Angelegenheiten, bezüglich 
welcher wirklich Streit oder doch Zweifel darüber herrscht, ob der 
Staatsanwalt nicht mit Unrecht die Verfolgung des Beschuldigten 
ich kann es nicht 
begehrt. Das ganze Bestreben des Entwurfes — 
im Einzelnen ausführen — geht eben dahin, daß sowohl bei Fragen, 
welche vor die Rathskammer im Laufe der Voruntersuchung kommen, 
als bei Fragen der Versetzung in den Anklagestand die Kräfte und 
die Thätigkeit der Richtercollegien reservirt werden für Sachen, welche 
wirklich bestritten oder zweifelhaft sind, daß dagegen in anderen Fällen 
für das rasche Ineinandergreifen gesorgt werde, auf daß mit Ver 
meidung jedes unnöthigen Aufschubs der Unschuldige zu seiner Be 
freiung gelange, andrerseits aber auch die Strafe den Schuldigen 
nicht blos sicher, sondern auch rasch erreiche. Denn gerade in An 
gelegenheiten der öffentlichen Strafverfolgung ist jener Satz richtig: 
Wer schnell gibt, gibt doppelt. Wer Schuldige schnell trifft, trifft sie 
dreifach. 
Das ist der positive Grund, warum die Regierung und mit ihr 
die Commission dieses hohen Hauses großen Werth darauf legt, daß 
von theoretischen Bedenken, die man etwa in Bezug auf die Stellung 
der Staatsanwaltschaft haben mag, von Fragen, die eigentlich nur 
Fragen des Decorums und der Etiquette sind, abgesehen werde, damit 
das Wesen der Sache nicht Schaden leide. 
Nachdem ich in dieser Weise den positiven Inhalt der Regierungs 
anträge vertreten habe, werde ich noch wagen, die Geduld des hohen 
Hauses für die Beleuchtung der staatsrechtlichen Erörterungen Seiner 
Excellenz in Anspruch zu nehmen. Sie sind mit jener Klarheit, die 
den Redner überhaupt auszeichnet in seinem Schlußvortrage vollkommen 
treffend bezeichnet: Es komme darauf an, was man unter „Richter" und 
„richterlicher Gewalt" denkt. Und da muß ich mich zunächst gegen 
die Handhabung des Gesetzes vom 21. December 1867, Reichsgesetz 
blatt Nr. 144, über die richterliche Gewalt zu dem Zwecke der Argu 
mentation Seiner Excellenz verwahren. Namentlich gilt die Erwähnung 
einer schlagenden Einwendung meines Erachtens nicht als Widerlegung der 
selben. Wenn man das Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt zu 
Zwecken der heutigen Argumentation verwenden will, so kommt man frei 
lich dazu, zu sagen: Alles dasjenige, was in diesem Gesetze gestreift oder be 
rührt ist, gehört in den Kreis der richterlichen Gewalt. Aber auch dann 
muß man wieder fragen: In welchem Sinne ist die richterliche Gewalt 
hier gemeint? Denn die richterliche Gewalt ist ja ein Theil der 
obersten Staatsgewalt überhaupt. Die, wenn auch etwas veraltete 
Theorie von der Theilung der Gewalten, auf welche ein großer Theil 
unseres Staatsrechtes zurückzuführen ist, spricht ja nicht blos von 
Theilung, sondern auch von Vereinigung der Gewalten; ihre höchste
	        
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