Full text: Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß

798 Zur Entstehung der österreichischen Strafproceßordnung von 1873. 
trages des Abgeordneten Dr. v. Perger, welche, so viel ich bei auf 
merksamer Verfolgung der Debatte im Hause ersehen habe, noch keine 
Erörterung gefunden hat. 
So sei es denn das Geschäft des Justizministers, hier den Advo 
catus diaboli zu machen und zu fragen, ob es wirklich ganz selbst 
verständlich sei, daß man in einem Processe, der auf dem Anklageprincipe 
beruht, der also die Mitwirkung des Staatsanwaltes fordert, daß man 
in einem solchen Processe erst sagt: „Der Ausspruch der ersten Instanz 
ist, was die Thatfrage betrifft, sehr bedenklich, er bedarf entschieden 
einer nochmaligen Prüfung, denn Richter können irren" 
daß man 
dann aber den Staatsanwalt, den Vertreter des öffentlichen Interesses 
und der öffentlichen Ordnung, zum Schweigen verweist, sobald der 
erste Richter gesprochen hat. 
Meine Herren! Die Regierung weiß sehr wohl, was sie aufgibt, 
indem sie auf das Berufungsrecht des Staatsanwaltes verzichtet. 
Sie weiß, daß das für die öffentliche Ordnung keineswegs ganz 
gleichgiltig ist, und ich kann Sie versichern, daß die Berufung gar 
manchen Vertreter gefunden hat, der dieselbe aufrecht erhalten will, 
weil er eben auf das Berufungsrecht des Staatsanwaltes nicht verzichten 
möchte. 
Allein die Regierung bringt dieses Opfer der Herstellung eines 
organischen Processes; das Opfer jedoch einer unorganischen Einrichtung 
des Processes zu bringen, das von der Regierung zu verlangen, ist 
etwas hart. Es ist etwas anderes, meine Herren, ob Sie sagen: „Hier 
wird ein endlicher Spruch gefällt, gegen den es kein Rechtsmittel gibt" 
wo der Richter weiß, daß er sorgfältig auf Beide zu sehen habe, oder 
ob man zwei Parteien vor den Richter schickt und diesem sagt: „Gibst 
Du dem Einen Unrecht, so liegt nichts daran, gibst Du dem Anderen 
Unrecht, so ist ein Höherer da, der nochmals prüfen wird.“ 
Ja, meine Herren, Sie machen auf diese Weise den Ankläger von 
vornherein rechtlos; die Wirkung kann allerdings auch eine umgekehrte 
sein, wie sie der Herr Abgeordnete Dr. v. Perger nicht beabsichtigt. 
Meine Herren! Es kommen eben zweifelhafte Fälle vor, wo man 
noch im letzten Augenblicke in der Entscheidung schwankt, und da ist 
es der natürliche Zug des Menschen, daß er die Verantwortung gerne 
von sich ablehnt und auf einen Anderen schiebt. Da könnte es be 
gegnen — denn die Richter sind ja Menschen — da könnte es begegnen, 
daß in zweifelhaften Fällen ein gewissenhafter Richter sagt: Spreche 
ich den Angeklagten frei, so ist damit das letzte Wort gesprochen, ver 
urtheile ich ihn, so gibt es einen höheren Richter, der noch sprechen 
kann, und darum verurtheile ich ihn, es mag der höhere Richter das 
Urtheil aufheben. 
Darauf will ich nicht zurückkommen, daß der Vorschlag des Herrn 
Abgeordneten Dr. v. Perger jene technischen Bedenken nicht beseitigt, 
die ich früher angeführt; ich will das hohe Haus nicht ermüden durch 
Wiederholung. Allein auf den Hauptpunkt, auf das ideale Moment 
kann ich nicht unterlassen zurückzukommen.
	        
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