Zur Entstehung der österreichischen Strafproceßordnung von 1873. 783
Kämpfe im Schoße der Regierung, der Schwierigkeit der Berufungs
frage Herr zu werden.
Der Entwurf vom J. 1867 gibt davon — ich werde vielleicht
später noch Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen — ein deutliches
Zeugniß; denn er wagt es nicht mehr, zur Berufung vom I. 1850
zurückzukehren und nicht blos, weil er das eine Bedenken darin ge
funden hat, welches allerdings der Herr Abgeordnete Dr. v. Perger
allein beachtet hat, nämlich die Möglichkeit der Verurtheilung des
Angeklagten in zweiter Instanz.
Er hat noch eine Menge anderer Bedenken gefunden; er hat
versucht, diese Bedenken zu beseitigen und ich kann wohl ruhig sagen:
Jeder Fachmann, der unbefangen diese Partie des Entwurfes liest,
wird erschrecken über die unerhörte Schwerfälligkeit und Unbeholfenheit
der Procedur, die die Folge dieses redlich gemeinten, sorgfältig aus
geführten Versuches war, die Berufung beizubehalten und die Lüge,
die innere Unhaltbarkeit und Unverläßlichkeit des französischen Berufungs
systems, das auch in die Strafproceßordnung vom J. 1850 Eingang
gefunden hat, zu vermeiden.
Dieser Gesetzentwurf nun kam an das Abgeordnetenhaus. Ich
muß allerdings noch einen Moment zurückgreifen, um die Geschichte zu
vervollständigen.
Neben der Arbeit an der Strafproceßordnungsreform selbst geht
einher die Frage der Gerichtsorganisation, in erster Linie bedingt durch
die Festsetzung der Strafproceßordnung. Während im Schoße der
Regierung noch an dem Entwurfe der Strafproceßordnung gearbeitet
wurde, war sie, wie den Herren bekannt ist, mit dem Entwurfe eines
Organisationsgesetzes hervorgetreten.
Zu jener Zeit war man eben bedacht, die Berufung, wenn auch
zu reformiren, so doch zu erhalten, und man hatte gar keinen Zweifel
darüber, daß man an demjenigen festhalten müsse, was die Voraus
setzung der Durchführbarkeit der Berufung im J. 1850 war, an den
Bezirks=Collegialgerichten.
Aus diesem hohen Hause schallte — so viel ich weiß, ich war
ein einstimmiger Protest der Re
damals nicht Mitglied desselben
gierung entgegen, ein Protest gegen die Bezirks=Collegialgerichte. Die
Unmöglichkeit, über die Ausschließung der Bezirks=Collegialgerichte sich
klar zu werden, ohne zu gleicher Zeit die Frage der Berufung in Straf
sachen zu entscheiden, ist — ich habe nicht zu besorgen, irgendwo auf
Widerspruch zu stoßen — ein entscheidender Grund dafür gewesen, daß,
was gewiß in mancher anderer Beziehung zu bedauern ist und von Vielen
lebhaft bedauert werden wird, daß das hohe Haus der Abgeordneten
es unterlassen hat, auf die Berathung des Organisationsentwurfes ein
zugehen. Allein aus dieser Vorberathung war der Regierung ent
gegengeschallt der Ruf: Keine Bezirks Collegialgerichte! Und die Noth
wendigkeit, diese zu vermeiden, während man doch die Berufung im
Entwurfe vom J. 1867 beibehalten wollte, trug eben dazu bei, daß
neue Schwerfälligkeiten in diesen Entwurf hineinkamen.