Zur österreichischen Strafproceßordnung von 1853.
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Dies einmal anerkannt, ist es leicht, die verschiedenen, in dieser
Beziehung sich ergebenden Fragen zu beantworten, —
Wenn nämlich
bezüglich des Verbrechens, welches in dem nach §. 145 gefaßten Be
schluß erwähnt ist, kein Anklagebeschluß ergehen kann, so ist ein Ab
lassungsbeschluß nur dann zu fällen, wenn die Untersuchung auch nicht
ergeben hat, daß bezüglich eines anderen Verbrechens ein Anklage
beschluß begründet ist.
Hat sich daher die Specialuntersuchung auf ein bei der Einleitung
derselben nicht berücksichtigtes Verbrechen erstreckt, so sind folgende
Fälle möglich:
a) Bezüglich beider sind die Bedingungen eines Anklagebeschlusses
gegeben; in diesem Falle müssen nach §. 200 lit. b) beide Ver
brechen in dem Anklagebeschlusse erwähnt werden.
Es treten bezüglich des einen die Bedingungen eines An
klage=, bezüglich des anderen die eines Ablassungsbeschlusses
ein. In diesem Falle wird, wie gesagt, nur der Anklagebeschluß ge
schöpft, ohne daß des anderen Verbrechens in dem förmlich ausgefer
tigten Beschlusse (anders freilich in dem Protokoll über die Beschluß
fassung des Gerichtes) Erwähnung geschieht. Aus dem früher Gesagten
ergibt sich, daß es dabei nicht darauf ankommt, ob bezüglich des
selben Verbrechens die Specialuntersuchung schon eingeleitet sei, welches
nunmehr dem Anklagebeschluß zu Grunde gelegt wird; denn das Gesetz
verlangt zu einem Anklagebeschluß nur, daß derjenige, wider welchen
die Untersuchung stattgefunden hat, eines bestimmten Verbrechens
rechtlich beschuldigt erscheine (§. 200); es schreibt aber nirgends vor,
daß wegen eines erst während der Specialuntersuchung entdeckten Ver
brechens nachträglich ein besonderer Einleitungsbeschluß gefaßt werden
solle. In der That ist vielmehr §. 145 St. P. O. so gefaßt, daß
selbst in einer Entscheidung des obersten Gerichtshofes (v. 5. März
1856, Z. 1985, G. Z. Nr. 47; Herbst S. 26) es für genügend
erklärt wird, daß die Specialuntersuchung „wegen Verbrechen“ über
haupt, ohne Angabe eines bestimmten Verbrechens eingeleitet werde.
Auch ist zur Begründung dieser Auffassung bemerkt worden, es ergebe
sich dies daraus, daß im §. 145 nicht, wie im §. 200, von einem
bestimmten Verbrechen die Rede sei. Allein §. 145 fordert die Be
gründung des Beschlusses, und wie wäre diese möglich, ohne daß der
Inhalt der Beschuldigung angegeben, das Factum erzählt und daraus
juristisch deducirt würde, daß in demselben der Thatbestand eines Ver
brechens begründet sei? Welchen Werth hätte überhaupt der ganze
Beschluß, wenn der Richter blos in einer (an das Marino Faliero'sche
ob crimina erinnernden) allezeit bereiten Formel erklären dürfte: er
leite die Untersuchung „wegen Verbrechen“ ein? In der That zeigt
sich auch, daß der oberste Gerichtshof bei jener Entscheidung es mit
einem Falle zu thun hatte, wo das Factum selbst deutlich genug be
zeichnet, und es außer Zweifel war, daß dasselbe ein Verbrechen be
gründe; nur die Qualification der That als Raub schien dem Ober
landesgericht verfrüht, und es sollte die Frage in dem Beschluß unerledigt