Non bis in idem.
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Concurrenz unbedingt nur von einer Strafe, der des schwersten De
lictes, die Rede sein könne.*°4) Bei dieser Sachlage kann nicht ge
zweifelt werden, daß wenn die eine Thatsache, von welcher angenommen
wird, daß sie mehrere Gesetze verletze, der richterlichen Entscheidung
einmal unterstellt ist, eine sachgemäße Erledigung der Anklage nur in
der Weise stattfinden kann, daß beide Qualificationen constatirt werden.
Will man in der Genauigkeit so weit nicht gehen, so ist doch uner
läßlich, das schwerere der concurrirenden Delicte nicht mit Schweigen
zu übergehen — und wäre dies in der Anklage geschehen, so wäre
nichtsdestoweniger das Versäumte bei der Urtheilsfällung nachzuholen.
Das Zuchtpolizeigericht ist unbestritten in der Lage, die ihm vorgelegte
That nach allen Seiten zu würdigen, und hat in dem Falle, wo es
eine ideale Concurrenz mit einem Verbrechen vorfindet, sich incompetent
zu erklären.1°5) Was den Schwurgerichtshof betrifft, so ist es außer
Zweifel, daß wenn die Umstände, welche die Annahme der idealen
Concurrenz begründen, im Verweisungserkenntniß und im erzählenden
Theil der Anklageschrift enthalten sind, sie bei der Fragestellung berück
sichtigt werden müssen, auch wenn die Schlußformel der Anklageschrift
sie übergeht,"*) daß aber auch in der Verhandlung auftauchende That
umstände, welche die Anklage modificiren und insbesondere das Ver
brechen erschweren, in die Fragestellung einzubeziehen sein, ist nicht zu
vorbehält. Es ist daher kein Wunder, daß auch diese Materie eine höchst contro
versenvolle ist. (Vgl. darüber: Chauvean et Hélie Theorie du Code pénal.
Edit. Nypels n. 391—399 und die dort angeführte Literatur; Trébutien I.
p. 312—329. Ortolan Elements de droit pénal n. 1159—1178. Haus
n. 315—319; dessen Motive zum belg. Strafges. Entw. bei Nypels Code belge
I. p. 113 ss. Vol. I. Comm. II. n. 255—270). Außer Zweifel steht jetzt einer
seits, daß für Uebertretungen das Cumulationsprincip gelte, andrerseits daß es für
Aussprüche der Assisenhöfe über Verbrechen und Vergehen nicht gelte; die Ansicht,
s für die Zuchtpolizeigerichte (Concurrenz von Vergehen) gelte, ist ziemlich isolirt.
daß e.
**) Haus n. 312. Ortolan n. 1149: n’y ayant qu’ un fait unique
il ne peut y avoir qu’ un senl châtiment. — Im neuen belgischen Strafgesetz
geschieht dieser Ausnahmsstellung der idealen Concurrenz nicht ausdrücklich Er
wähnung; sie wird aber nicht blos als selbstverständlich betrachtet (Nypels I. c.
p. 121 II. n. 275), sondern es ist im Motivenbericht ausgesprochen, daß der ganze
vom Zusammentreffen mehrerer Gesetzübertretungen handelnde Abschnitt nur auf
die materielle Concurrenz berechnet sei; „bei der idealen oder formalen Concurrenz
wendet der Richter die Strafe des schwersten Verbrechens oder Vergehens an,
sofern die That mehrere Strafgesetze übertritt, und erhöht die Strafe innerhalb
jesetzlichen Grenzen, sofern sie mehrere Personen verletzt“.
der g
10s) Ausdrücklich anerkannt ist der im Text ausgesprochene Grundsatz in einer
E des C. H. vom 26 Juni 1829, Rolland a. 193 CdI. n. 7. Vgl. daselbst
n. 10. Handelt es sich nicht um ideale, sondern materielle Concurrenz, so gilt der
entgegengesetzte Grundsatz: das Zuchtpolizeigericht hat die in seine Competenz fal
lenden Thatsachen abzuurtheilen, sofern die Trennung von den anderen nicht
unmöglich ist; dies gilt z. B. selbst bei der Concurrenz von Thatsachen, welche
Anklagen auf einfachen und betrügerischen Bankerott begründen. Rolland l. c.
n. 8. 11 (betrifft die nicht unbedenkliche Concurrenz der Mitschuld an einem
von der Ehefrau verübten Diebstahl mit der Entführung der Frau) Sirey art.
193 n. 1. 2.
10e) Hélie §. 660 III. (IX. p. 20—22).