Non bis in idem.
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strafbare Handlungen derselben Person constatire, nach Freisprechung
wegen der einen, neue Verfolgungen wegen der übrigen eingeleitet
werden können u. s. w. Dasselbe gilt von concurrirenden und selbst
connexen Delicten
welche der Anklagekammer vorlagen oder in der
Hauptverhandlung hervortraten, ohne zum Gegenstande der Anklage
und Verhandlung gemacht zu sein1
so daß der Angeklagte
gegen nachträgliches Hervorsuchen von Anklagen, welche bei der ersten
Verhandlung erledigt werden konnten und sollten, in keiner Weise
geschützt ist.
c) Die ideale Concurrenz findet man in den eingehenden Erörte
rungen über die Zulässigkeit wiederholter Verfolgung kaum berührt:
nur sehr selten findet man Entscheidungen welche sie ins Auge fassen,
freilich aber dann auch sehr entschieden klingen. Eine Entscheidung
des Cassationshofes vom 28. Januar 1853 spricht aus: Eine That
welche einer doppelten Qualification fähig ist, kann sowohl als Ueber
tretung, wie als Vergehen abgesondert verfolgt werden; das Vergehen
kann angenommen werden, obgleich hinsichtlich der Uebertretung Frei
sprechung erfolgte.""
Die Richtigkeit des Satzes, daß im Falle idealer Concurrenz
mehrfache Verfolgung zulässig sei, wird sich auch von dem Standpunkte
aus, den die französische Praxis einnimmt, nur vertheidigen lassen,
wenn man an der Theorie des Cassationshofes festhält, daß eine Aende
rung der Qualification eine nochmalige Verfolgung derselben That
ermögliche. In der That handelt es sich auch bei der idealen Con
currenz zuletzt um nichts anderes. Es muß hier zunächst berücksichtigt
werden, daß das französische Recht für die wichtigsten Fälle der mate
riellen Concurrenz den Grundsatz poena major absorbet minorem
aufstellt 103) und daß man darüber einig zu sein scheint, daß bei idealer
*) Rolland a. 360 n. 23-25. 84-86. Hélie §. 179 (III. 578).
Mangin n. 403. 408.
*) Rolland a. 360 n. 79. 80. Der Fall, in welchem diese Entscheidung
erging, war freilich ein solcher, in welchem die ideale Concurrenz sehr fraglich ist.
Es war ein Holzdiebstahl begangen worden und dabei sollte auch ein Steg beschädigt
worden sein; es ist wenigstens zweifelhaft, ob hier beide Delicte durch dieselbe That
berubt wurden. — Dagegen finden wir eine andere Cassationshofs=Entscheidung vom
14. Mai 1858, die einen klaren Fall idealer Concurrenz betrifft. Ein Wirth
hatte seine Weinstube ohne polizeiliche Erlaubniß eröffnet und über die polizeilich
vorgeschriebene Sperrstunde hinaus offengehalten. Es ward entschieden, daß eine
doppelte Verfolgung nicht zulässig sei. Rolland n. 77.
*) Bekanntlich stützen sich Theorie und Praxis nur auf zwei sehr dürre
Bestimmungen nicht des Strafgesetzes, sondern des Strafproceßgesetzes (A. 365 u.
379). — Die erste spricht von dem Falle gleichzeitiger Verurtheilung wegen meh
rerer Verbrechen oder Vergehen durch den Assisenhof, und statuirt den Grund
jat: La peine la plus forte sera seule appliquée. Die zweite behält die
selbstständige Verfolgung wegen solcher neuer Verbrechen des Verurtheilten
vor, die in der Schwurgerichtsverhandlung zum Vorschein kommen, sofern diese eine
schwerere Strafe verdienen oder der Angeklagte Mitschuldige hat. Außerdem ist
noch A. 361 zu erwähnen, welcher für den Fall der Freisprechung von der
einen Anklage die weitere Austragung von Anschuldigungen sur un autre tait
Glaser, kleine Schriften. 2te Aufl.